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2015-06-19-Nachmittag

Habe mir @kusanowskys Vortrag zur Frage vom Verhältnis von Expert_innen zu Laien angesehen: "Wir kochen Hagebuttenmarmelade"

Er sagt hier, kurz gefasst, in etwa Folgendes: Experten sind Leute, die auf einem bestimmten Feld ein bestimmtes Wissen haben. Dieses Wissen befähigt sie dazu die Gesellschaft auf bestimmte Gefahren hinzuweisen. Dieses Hinweisen auf Gefahren führt zur Unsicherheit unter Laien. Diese Unsicherheit wiederum machen sich Journalist_innen zu Nutze, in dem sie sie thematisieren. Diese Thematisieren geschieht dabei im Wechselspiel zwischen Skandalisierung und Versachlichung. Der_die Expert_in weist also auf Gefahren hin, Laien sind verunsichert und Journalist_innen fragen bei dem_der Expert_in nach, der in der Folge zu erklären versucht, was die Gefahr ist, woraufhin es zu kritischen Nachfragen auf Seite der Journalist_innen kommt. Dieses Muster muss man sich dazu noch multipliziert und gleichzeitig laufend vorstellen, denn Expert_innen stehen in Konkurrenz zueinander und da niemand jemals alles weiß, führt der Versuch der Versachlichung zur oben schon genannten Skandalisierung, die schließlich als Gefährdung den nächsten Zyklus dieses Prozesses anstößt. Dabei nimmt die Intensität notwendig im Maße mit der Konkurrenz (zwischen Expert_innen) zu. Und anstatt besser informiert zu sein, sind die Laien mit fortschreitenden Zeit schlechter informiert. Dies wird dann am Beispiel der Datenschützer_innen durchgespielt.

Datenschützer_innen, wie auch alle anderen Expert_innen befinden sich also in der paradoxen Situation Gefahren zu brauchen, damit man sie fragen kann, wie diesen beizukommen wäre. Bei Datenschützer_innen geht es um die informationelle Selbstbestimmung. Sie sind Rechtsexpert_innen und versuchen daher rechtlich eine solche Bestimmung einzuführen. Das ist aber nicht möglich, weil es sich beim Internet um einen Raum handelt, in dem freiwillig publiziert wird und nimmt man nun noch den Umstand hinzu, dass "Identität" und "Person" kontextuell verschiedene Bedeutungen haben können und darüber hinaus nicht alle Informationen, die zur Beurteilung - selbst mit Kontext - nötig sind auch verfügbar sind, ist die Lösung, für die Datenschützer_innen sich einsetzen eine Schimäre, was in aller Deutlichkeit, die im ersten Teil gemachten allgemeineren Aussagen bestätigt.

Aus all dem folgt, dass eine "Versachlichung", hier jetzt aber mit weniger ironischem Zungenschlag, einsetzen muss bzw. wird, die darauf hinausläuft, dass man sich fragt, wie man eine informationelle Selbstbestimmung selbst durchsetzen könnte und eine Diskussion darüber führte, was das eigentlich bedeuten würde.

In der anschließenden Diskussion wurden dann mehrmalig Fragen der Moral, der Handlungsfreiheit und der behandelbaren Fälle beantwortet: Das Ergebnis all dieser Dinge war, dass einerseits Moral und andere Ingredienzien des demokratischen Selbstverständnisses für den Soziologen Kusanwosky keine Rolle spielen würden, weil der herauspräparierte Zyklus, auch ohne diese Annahmen Bestand hätte. Zugegeben wurde, dass es Fälle gibt, die Sorgen bereiten und lösbar seien, weil in diesen Fällen (Facebook, Geheimdienste) bekannter ist, wer mit wem wie kommuniziert und wer das aus welchem Grunde wissen will. In diesen Fällen sei eine rechtlche Kontrolle sehr wohl möglich (wenn auch offen bleibt, ob diese nicht aus Gründen der Macht nicht durchgesetzt wird). Am Ende wurde klar, dass es Kusanowsky um die Betonung des Falles von "anonymer Kommunikation" ging, in denen das hier beobachtbare stattfindet. Weiterführende Fragen auf diesem Feld, dass mit dem Internet wachse, müssten eine höheren Stellenwert haben und moralische Fragen und behandelbare Fälle würden die Diskussion für ebenjene anonyme Kommunikation blind machen.

Das ist die Situation: Hier wird eine noch offene Frage diskutiert, nämlich die danach, man mit dem Internet umgehen können soll und wie nicht und wie man damit umgehen soll, dass andere mit dem Internet umgehen. Diese Frage ist nicht mal eindeutig zu rahmen und auch meine Rahmung ist nur ein Angebot unter vielen. Eine andere Rahmung wäre: "Wie könnte eine effektive rechtliche Kontrolle des Datenschutzes in Bezug auf personenbezogene Daten aussehen?" Und noch eine: "Ist es moralisch nicht ein Skandal, dass Geheimdienste und Facebook mit meinen Daten überhaupt ungefragt irgendetwas anstellen?!" Dieser Art Formulierungen gibt es sehr viele, die sich, man merkt es, zwar um eine Sache drehen, aber diese Sache hat noch keine eindeutige Existenz. Dementsprechend existiert sie in vielerlei Hinsicht nur in den Formulierungen derjenigen, mit denen wir es hier zu tun haben und ist doch irgendwie "da", sie ist nicht einfach nur eine Idee, sondern strukturiert hier sehr deutlich die Realität. Diese Leute sind zusammengekommen, um darüber zu sprechen, um zu verhandeln, was die Realität einer "informationellen Selbstbestimmung" sein kann und was nicht. Auch der Soziologe arbeitet fleißig an dieser offenen Frage mit. Er ist nicht sonderlich priviligiert. Sein einziges offensichtliches Privileg besteht erstmal nur darin, dass er auf der Bühne steht und einen Vortrag hält und im Bild des Videos ist. Der größte Unterschied besteht eigentlich darin, dass seine Rahmung priviligiert ist und anders als die anderen Rahmungen sehr viel deutlicher zur Disposition steht. Die knapp dreißig Minuten des Vortrags werden dann also auch hauptsächlich dafür verwendet, die Grundlage für die sich daran anschließende Diskussion zu legen. Bemerkenswert hieran ist (und ein_e Diskussionsteilnehmer_in weist darauf auch hin), dass es ursprünglich um das Verhältnis von Laien und Expert_innen ging. Das zeigt auch sehr schön, wie eine Verschiebung der Diskussion, durch die relationale Konfiguration von Rahmen (frames of reference) strukturiert, über was gesprochen wird. Aus diesem Grunde kann man nicht sagen, dass der Soziologe priviligiert ist. Er ist aber gleichzeitig schon. Zum einen, weil sein Rahmen zur Disposition steht und zum Anderen, weil er auf Fragen antworten darf. Diese Position des Antwortgebers, der über seine Rahmung spricht (während er gleichzeitig mit anderen über dieses Etwas redet, dass nicht seine Rahmung ist) erlaubt es ihm zumindest für diese Situation anderer Leute Rahmung für "dumm" oder kurzsichtig zu halten, weil sie daran glauben, dass das Vorgebrachte überhaupt eine Bedeutung (in seinem Rahmen) hätte. Der Grund dafür liegt, so legt es der Vortrag nahe, in seinem Interesse für anonyme Kommunikation, die verschwinden würde, würde er so etwas wie Moral an dieser Stelle miteinbeziehen müssen, würde er behandelbare Fälle zulassen. Denn darum ging es ihm nicht.

Am Ende ist klar, dass die Verhandlung nicht abgeschlossen ist. Ob es informationelle Selbstbestimmung geben kann, kann noch nicht beantwortet werden und auch nicht, wie eine solche Existenz dann aussehen würde. Informiert sind wir darüber, dass anonyme Kommunikation den Soziologen sehr interessiert, was aber nur lose mit dem Problem der informationellen Selbstbestimmung zu tun hat, die hier, so war es zumindest gedacht, nur ein Beispiel, ein Schauplatz, für erstere sein sollte.

2015-05-31-Nachmittag

Mit Blick auf die AlienAnthropologie von gestern, dachte ich gerade, dass wir uns Aliens als "die, mit denen wir nicht kommunizieren können" vorstellen. Warum eigentlich?

Oder anders: Fremd ist uns, was schlecht mit uns kommuniziert. Das mag gar so weit gehen, dass es überhaupt nicht mehr kommuniziert. Es handelt sich also um eine Skala. Wie der Standpunkt der strukturalistischen Forschungsprogramme oder zumindest jener, die auf Shannon/Weaver aufsetzen (Kittler), zu definieren wäre, müsste man sich mal anschauen. Von wo spricht man, wenn man behauptet nichts zu verstehen und lediglich zu beschreiben? Dass darin eine Frische, ein Auffrischungspotential für die Geschichtsschreibung steckt, sehe ich vollständig ein (man sehe sich das Feld der "Digital History" an und vorher: Geschichte als Biologie, Geschichte als Semiotik, Geschichte als Geografie, usw. usf.). Aber wie bleibt man dieser Bewegung treu? Soll heißen: Wie bezahlt man den vollen Preis für diese Distanzierung, wenn sie nicht nur scheinbar sein soll? Der Vorgang, der neue Nähe durch Distanzierung schafft ist nicht leicht herauszulösen, aus der Historie.

Mit Blick auf die Aliens: Da wir hier nicht tricksen können, da wir am Anfang der Untersuchung nur materielle und (uns an-)schweigende Artefakte zu greifen bekommen, wäre erstmal zu zeigen, dass eine Anthropologie ohne Informant_in überhaupt möglich ist. Wie bringt man Artefakte unter diesen Umständen dazu zu sprechen?

Und ist sprechen dann noch das richtige Wort? Wieso erinnert das alles an Hermeneutik, wenn doch die 1960er-Jahre und folgende Jahrzehnte gezeigt haben wollen, dass ein solches "sich Einfühlen" unmöglich, unnötig und gestrig ist? Ich müsste mein Wissen über Hermeneutik und Dekonstruktion mal ausbauen, um zu wissen, was eigentlich was meint, aber das lässt sich vielleicht jetzt schon sagen[^1]:

Wir treten allem, selbst dem Fremdesten, selbst dem "unvorstellbarsten Vorstellbaren" gegenüber, in dem wir Koexistenz anstreben. Koexistenz kommt zustande, in dem Korrespondenz betrieben wird und das heißt, kurz gesagt: Es wird kommuniziert. Allerdings immer unter dem Vorzeichen des Vorfristigen (d.h.: Wir testen). Nur ist dann schon wieder die Brücke geschlagen zwischen "bekannt" und "unbekannt", zwischen "Nähe" und "Ferne", zwischen "Uns" und den "Aliens".

Kurz: Keine Berührung, egal wie vermittelt, lässt unberührt. Wäre aber das nicht gerade die Voraussetzung für Alien-Anthropologie?

[^1]: Hier eine Wendung aus einem Gespräch mit L. aufnehmend, nämlich der, dass etwas miteinander "korrespondieren" kann.

2015-05-29-Vormittag

Gibt es so etwas wie Alien-Anthropologie?

Hatte gerade eine Idee: Was wäre, wenn wir vom Inhalt der Kommunikation vollständig absehen würden? Angenommen, wir hätten es nicht mit einer irdischen Kultur zu tun, sondern mit einem Alienkollektiv: Könnten wir trotzdem etwas über die Funktionsweise des Kollektivs herausfinden? Die Antwort ist mit ziemlicher Sicherheit: Ja. Es wäre eine interessante Sichtweise. Wenn wir vollständig[^1] vom Inhalt abstrahieren, dann müssen wir sehr genau hinschauen, wer mit wem wie assoziiert wird. Wir würden wahrscheinlich feststellen, dass man erstaunlich viel über das Kollektiv sagen kann, auch wenn man nicht weiß, was inhaltlich besprochen wird. Akteure und ihre Verbindungen könnten (bis zu einer bestimmten Grenze) nachgezeichnet werden und dadurch, dass man vom Inhalt nichts versteht, müsste man sehr vorsichtig vorgehen. Schnellschüsse, die Diskurse aufgrund von inhaltlichen Ähnlichkeiten behaupten, wären dann unwahrscheinlicher.

Vielleicht ist diese Einstellung grundsätzlich gut zu heißen. Ich denke, dass Latour das ständig macht. Ein prominentes Beispiel wären seine Gifford-Lectures. Aber vielleicht muss man dieses Verfahren noch viel ernster betreiben. Jedenfalls wäre das eine interessante Ausgangsposition.

Was ich also sagen will: Wäre eine Wissenschaft vorstellbar, die prinzipiell mit ganz fremden und erstmal nur äußerlich zugänglichen Kollektiven umgeht? Wäre diese Wisssenschaft aufs eigene Kollektiv anwendbar? Was wäre das Ergebnis einer solchen Alienanthropologie?

[^1]: Es ist nicht auszuschließen, dass man irgendwann doch einen Sprachzugang findet. Aber der kommt dann in gewisser Weise von außen. Diese Situiertheit wäre dann noch mal zu diskutieren.

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