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2015-09-16-Abend

Ich bin krank. Schleppe mich seit der Rückfahrt von Berlin mit einer Erkältung rum, was im wesentlichen bedeutet, dass ich in meinem Bett liege und mich nicht bewege. Ich lese nichts. Ich höre aber den Podcast Reconcilable Differences und kam darüber immerhin auf den interessanten Gedanken, wie ich mit meinen Argumenten rein funktionalistisch verfahre und wie mich das schließlich an den Punkt brachte, das Ja-Sagerprojekt zu versuchen. Ich versuche es kurz zu halten:

Wenn jemand mit mir nicht einverstanden ist, dann halte ich für gewöhnlich nicht dagegen. Ich versuche immer zuerst zuzustimmen. Oft genug scheitert das. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen habe ich inzwischen eine Weile auf dieser Erde verbracht und meine Erfahrungen gesammelt, die mir eine bestimmte Perspektive ermöglichen. Zum Anderen habe ich dank meiner Streifzüge durch die Theorie ein verhältnismäßig umfangreiches Arsenal an (Denk-)Werkzeugen gesammelt, mit denen sich Themen von verschiedener Seite angehen lassen und die Erfahrung gepaart mit den mir gegebenen Denkmöglichkeiten, erlaubt es mir, vieles für sich bestehen zu lassen. Gleichzeitig begrenzt das aber auch das, was ich mir vorstellen kann. Erfahrungen + Werkzeuge ergibt eine Reihe von denkmöglichen Bewegungen oder Gesten innerhalb einer Situation, mit der ich umgehen kann, die ich erwarte oder antizipiere. Oft genug werde ich also überrascht. Diese Überraschung ist es, die für gewöhnlich die Tür hin zu einer Diskussion öffnet.

Der letzte Absatz bezog sich darauf, dass man mit mir nicht einverstanden ist. Selbstredend gibt es auch die Variante, dass ich mit jemandem nicht übereinstimme. Dies ändert an der grundsätzlichen Situation auf den ersten Blick nicht viel. Meine gelebte Emperie gepaart mit den erworbenen Denkwerkzeugen, stecken den Rahmen der Möglichkeiten ab, in denen ich mir Situationen vorstellen kann. Diese Erwartungen werden auf die eine oder andere Art überschritten und die Überraschung setzt auch in diesem Falle ein. Ein machbarer Unterschied ist aber der, dass ich diese Form der Möglichkeit von Überraschung selbst direkter suchen kann. Es ist leicht in Zeiten des Internets eine Diskussion vom Zaun zu brechen und oft genug sind diese, entgegen allen Unkens über die schreckliche Diskussionskultur im Netz, durchaus konstruktiv. Jedenfalls ist die Schließung von Diskussionen eine Frage der Bereitschaft zum Einverständnis von der jeweiligen initiierenden Person. Das liegt daran, dass die Wahrscheinlichkeit für die Denkmöglichkeit bzw. Unmöglichkeit eines anderen Position weniger überraschend ist, als im ersten Fall.

Dies ist natürlich noch zu einfach gedacht. Diese Sicht setzt voraus, dass sich beide Gesprächspartner_innen bezüglich ihrer Machtposition in etwa in der gleichen Lage befinden, oder diese Lage zumindest für den Moment des Disputs konstruieren (was ein gewaltiger Aufwand sein kann). Wenn Macht eine Rolle spielt, dann scheint die im letzten Absatz kursiv gesetzte Bemerkung nicht mehr so leicht haltbar. Die Schließung von Diskussionen - z.B. auf Twitter - kann beispielsweise durch ein Muting der Gegenseite zustande kommen. Man kann durch .@-Mention seine ganze eigene Timeline aufmerksam machen. Das letzte Wort kann man sich selbst durch einen Block der Gegenseite geben. Alles in allem kann man aus Gründen der eigenen Autorität, die durch hohe Followerzahlen ebenso zustande kommen kann, wie durch einen Doktortitel, in die Position des_der Schließer_in von Diskussionen kommen. Alles was danach von der Gegenseite folgt, wird dann - so denn nicht andere Umstände die Machtfrage noch einmal anders beantworten - als “Nachklapp” verstanden. Je nach Situation beispielsweise als “P.S.”, “Trollen”, “weiterer Kommentar” usw.

Die Wahrscheinlichkeit des Überraschens ist also eine Frage der jeweiligen Möglichkeitsräume (bestehend aus Erfahrung und vorhandenem Werkzeug daraus etwas anderes zu machen) der sich in der Diskussion gegenüberstehenden Akteure. Interessanterweise ist die Überraschung hier nicht notwendig an die Fremdheit der Akteure gebunden. Zwar ist es richtig, dass einander toxische Akteure in der Moderne die langanhaltendsten Diskussionen führten, da aber Realität immer lokal und relational produziert wird, können sich auch sonst sehr ähnliche Akteure aufs herrlichste miteinander verstreiten (wirft interessante Fragen zur Toxizität auf, muss ich mir merken…): Die Quantität der Erfahrung eines Akteurs ist nämlich genau genommen nicht größer oder kleiner im Vergleich zu anderen Akteuren, sondern lediglich anders. Wenn zwei Akteure für sagen wir 50 Jahre existierten, dann umgab sie für diese Zeitspanne eine vollständige Welt, oder besser Sphäre, deren Realität nicht verneint werden kann. Was jeweils möglicherweise unterschiedlich ist, ist der Grad der Besonderheit der Erfahrung, wobei diese Besonderheit sich aus der Unterschiedlichkeit einer Erfahrung von der Gesamtheit aller möglichen Erfahrungen aller Akteure ergibt. Die Besonderheit ist aber, wie sonst auch alles, relational. Hier heißt das: Die Produktion der Besonderheit dieser Erfahrung steht in Abhängigkeit bestimmter Umgebungsvariablen, die so speziell sein können, dass die Besonderheit der Erfahrung so besonders ist, dass sie für den Rest der Welt schier unerforschlich und damit insignifikant ist. Wie wäre die Erfahrung eines 50 Jahre alten Mondsteins zu artikulieren? Und: Wer will das hören? Die Überraschung einer Diskussion ergibt sich aus der Begegnung zweier Akteure, deren Möglichkeitsräume einander nicht vollständig überlappen, was sie, ob der eine Akteur nun vom Mond und der andere aus dem Sudan kommt, oder der eine aus der Antwerpener Straße und der nächste aus der Brüsseler, schon auf dieser Ebene notwendig nicht können.

Da Diskussionen also die Überraschung brauchen und diese in der Begegnung von Akteuren nicht vermeidbar ist, sind Auseinandersetzungen zwischen Akteuren ein notwendiges Übel der Welt. Es gibt aber ein paar Strategien, wie man trotz der Begegnung von Akteuren mit einem selbst eine Diskussion vermeiden kann. Und das ist, in dem man seine eigene Überraschung zu verschweigen sucht. Warum sollte man das tun? Hier kommt die Macht ins Spiel. Das rhetorische Spiel erlaubt uns vielleicht nicht über das zu gebieten, was uns überrascht, aber mit ein bisschen Übung lässt sich der Affekt, den eine bestimmte Sache auf uns hat, unterdrücken. Das wäre ein Beispiel. Dies ist nicht sehr einfach, insbesondere, wenn man sensibel auf Unterschiede reagiert, erlaubt es aber mehr und mehr Überraschungen zu erfahren, anstatt diese sofort wieder zu neutralisieren. Es wird also mehr Emergenz erzeugt, wenn man die Diskussion nicht zu schnell einer Schließung zuführt. Da die Schließung eine Frage der Macht bzw. der Autorität und damit der sozialen Ordnung ist, ist das Offenhalten von Diskussionen nicht nur eine intellektuell und emotional herausfordernde Übung, sondern gleichzeitig ein politischer Akt (hier zu verstehen, als um die Aushandlung von Realität bemüht). Und nicht nur das: Das Offenhalten, d.h. das sich Offenhalten für die Erfahrung und die Einsichten anderer Akteure erzeugt seinerseits Erfahrungen und Einsichten, die die eigene Grenze des Denkbaren verschieben. In weniger komplizierten Worten: Je länger wir einander überraschen bzw. in unserer Unterschiedlichkeit ertragen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Realität für mehr Akteure.

Da eine Diskussion also eine Partie im Spiel mit den Grenzen des Denkmöglichen ist, sind es gerade diese, die interessant sind. Für mich heißt das, dass ich gern erfahren will, wie weit die jeweilig andere Position reicht. Wenn mir jemand widerspricht, dann will ich wissen, von wo nach wo, die von der anderen Seite gemachte Einschränkung gilt. Gleiches gilt für apodiktisch daherkommende Aussagen, die mir aus den Kreisen meiner soziologischen Follower häufig in die Twitter-Timeline gespült werden. Ich nenne diesen Vorgang, d.h. die Findung der Grenze von Aussagen, Relationalisierung. Die Realtionalisierung findet eigentlich immer im Modus der Frage statt - Wie ist das gemeint? Wo gilt das? Stimmt das für alle Fälle? Auf welcher Grundlage sagst du das? Usw. Die Relationalisierung ist damit eine elegante Möglichkeit, die Diskussion offen zu halten, in dem man die Geste wechselt, Dinge, die in der suspendierten Diskussion noch unmöglich schienen denkmöglich zu machen und auf diese Weise konstruktiv und integrativ mit der jeweiligen lokalen Realität des Gegenüber umzugehen. Man gibt sich auf diese Weise die Möglichkeit einer “kleinen Schließung” bei gleichzeitiger Möglichkeit des explorativen Umgangs mit der laufenden Diskussion.

Kurz: Mir geht es in Diskussionen immer darum, die Diskussion möglichst lange am Laufen zu halten, weil mich am meisten die Überraschungen interessieren, die bei einem solchen “sich aufeinander Einlassen” zustande kommen. Meistens finden sich die Überraschungen an den Grenzen der Rahmungen der diskutierenden Akteure - denn dort berühren sie gleichzeitig Neuland. Dabei verwende ich das Werkzeug der Relationalisierung, das darin besteht, den Gültigkeitsrahmen von Aussagen aufzudecken. Diese Aufdeckung der Begrenzung von Aussagen ermöglicht eine kleine Schließung - eine Schließung von “aufgemachten Klammern”- bei gleichzeitigem Offenhalten der Diskussionssituation at large. Wenn es lediglich um Diskussionen geht, in denen die bestehende soziale Ordnung reproduziert werden soll (ich stimme einer anderen Autorität qua ihrer Autorität zu), dann vermeide ich diese Diskussion so gut es geht.

Von außen betrachtet erfordert diese Strategie die Fähigkeit zu so ziemlich allem Ja zu sagen, was einem in der Welt begegnet. Das ist der Prüfstein.

P.S.: Und noch sehr viel mehr… aber das schaffe ich in diesem erkälteten Zustand leider gerade nicht. Insbesondere Emperie! Wichtigster Anhaltspunkt war Folge 3 von RD und dieses Angebot einer Schließung des Konflikts von Pat Dryburgh (einem - in diesem Falle - Außenseiter).

2015-09-13-Abend

In Berlin zu sein hat den interessanten Effekt, dass ich es mir in einem alten Leben einrichten kann, dass mir aber seltsam fremdelnd vorkommt. All die Menschen, die ich treffen konnte in den letzten paar Tagen, all die Situationen, all die Szenerie, alles mir bekannte Elemente, wirken aus dem Abstand eines Monats in Aarhus wie ein Handschuh, der nicht mehr in gleicher Weise passen will. Das Geflecht aus Assoziationen lässt einen jedenfalls nach diesem anfänglichen - und bleibenden - Widerstand in fast gleicher Weise weitermachen. Klar wird auch, dass sich die im Kopf vorgehaltene Variante des mich umgebenden Akteurs-Ensembles mit dem hier vorgefundenen nicht in allen Punkten übereinstimmt.


Schwierig, sich hier gerade zu konzentrieren. Sitze im Wohnzimmer meiner Mutter und diese schaut gerade fern. Auch so eine Sache, die in Aarhus leichter ist, weil ich die Sprache nicht spreche. Das hier Gesagte lässt sich kaum ignorieren und ich kann dadurch sehr viel weniger flüssig schreiben. Das wiederum lässt Gedanken verkümmern, nur mühsam fließen sie so aufs digitale Papier. Was dann aufgeschrieben wird muss sehr viel bewusster vorgeformt sein. Es ist ein regelrechter Akt den Gedanken zu verschriftlichen. Diese Begrenzung der Möglichkeit des Aufschreibens durch Ablenkung ist sehr ernst zu nehmen. Diese hier für mich nervende Situation - es laufen die Nachrichten, in Anbetracht der Flüchtlingssituation verständlich, aber nichtsdestoweniger schwer dem offen zu begegnen, weil die Meinungsmaschinerie die eigene Stimme in diesen Zeiten erst recht unterdrücken möchte - lässt mich an meine eigenen Mediengewohnheiten denken, daran dass ich sonst zwischen Twitter, meiner eigenen Schreiberei und dem Browser hin- und herspringe und dass dies ebenfalls als eine Begrenzung dessen was ich aufschreiben kann, dargestellt werden könnte. Diese medienkritische Argument wäre allerdings noch mal auf die Relation zum Befund hin zu untersuchen, dass man nicht ständig schreibt, bzw. schreiben würde, wenn denn nur die Umgebungsvariablen richtig gesetzt wären. Denn ist nicht immer etwas schreibbar. Es ist im Gegenteil auch nicht so, dass ein unablässiges Aufschreiben gutes Schreiben sei. Ich bin mir also kurz gesagt nicht sicher, ob das Argument der Ablenkung so stimmt. Ablenkung mag notwendiges Übel des Schreibens sein. Jedenfalls meines Schreibens. Dementsprechend ist die Frage nicht, nach der Ablenkung überhaupt, die das Schreiben begrenzt, sondern nach der Art der Ablenkung und wie diese auf das Schreiben einwirkt. Wir eröffnen auf diese Weise im Hinblick auf die Stimulanzökonomie eine interessante Frage: Wenn man Ablenkungen nicht prinzpiell negativ konnotieren kann, wie ist dann das Verhältnis von Ablenkung zum Schreiboutput zu charakterisieren?

All die Arbeit an der Rahmung der Problematik hat zum Ziel den Zugang, erstens für die Anerkennung der profanen Vorgefundenheit, dass es auch hier die konkrete Konfiguration des Versuchsaufbaus ist, der uns interessieren muss und zweitens, dass es auch hier darum gehen muss eine realistische Beschreibung dieser Konfiguration nur nach dieser Beschreibung möglich ist. Was hingegen vorher möglich ist, ist die Konstruktion dieses Rahmens. Aber über diese spezielle Frage der Stimulanzökonomie lassen sich konkrete Aussagen nur aus empirischer Beschreibungsarbeit heraus erarbeiten. Also, z.B.:

Ich sitze im Wohnzimmer meiner Mutter am Essenstisch und habe soeben mitbekommen, dass meine Schreibsoftware - iA Writer - in der Version 3.0 erschienen ist. Ich möchte die Software gerne ausprobieren und da ich gerade ohnehin von einem Gespräch mit einer guten Freundin wiedergekommen bin und außerdem mein Hamster im Sterben liegt, will ich gern die Chance nutzen und diese Mélange aus Gedanken und Begebenheiten ins Journal schreiben. Ich setze mich also wie gesagt an den Essenstisch und beginne zu schreiben. Ich merke einen Widerstand im Schreiben, erkunde diesen Widerstand und führe ihn auf den laufenden Fernseher zurück. Ich schaue selbst so gut wie nie Fernsehen, weil ich sehr empfindlich auf die auf mediale Wirkung gebürstete Rhetorik und das Meinungstheater, was gerade im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation auf uns niederregnet, reagiere. Dementsprechend ungeübt bin ich im Ignorieren dieser Dinge. Da ich andersherum aber hier zu Besuch bin und meiner Mutter mehr oder weniger interessiert Fernsehen schaut, während sie für mich und meinen Bruder das Essen vorbereitet, fühle ich mich nicht in der Lage neben dem Privileg einfach schreiben zu können und mich ums Essen nicht kümmern zu müssen, auch noch die Art der Medienbestrahlung zu bestimmen oder gar zu diskutieren. Man könnte auch sagen: Ich nehme mein Mitbestimmungsrecht nicht wahr und verstehe das als Zugeständnis an meine Mutter. Dass dies etwas wert ist erfahre ich intensiv, nämlich dadurch, dass ich mich auf meinen eigenen Journaleintrag kaum konzentrieren kann. Ich überlege mir verschiedene Ausweichmöglichkeiten, empfinde aber den Raumwechsel (ich möchte mit meiner Mutter den Raum teilen), als auch das Einstellen des Schreibens als keine adäquate Reaktion darauf, weil die Ablenkung nur in zweiter Linie mit dem Schreiben zu tun hat. Selbst wenn ich meine Mutter beim Kartoffeln Schälen unterstützen würde (was sie wiederum nicht möchte; ich hatte sie gefragt), würde ich den Fernseher als störend empfinden. Dementsprechend ist das hier Geschriebene Ausdruck eines sich willfährigen Aussetzens. Dieses sich selbst Dingen auszusetzen, die man aus verschiedenen Gründen nur bedingt erträgt, wirkt dann notwendig auf die Produktivität dessen aus, was man für sich selbst als seine in diesem lokalen Jetzt als hauptsächlichste Handlung identifiziert hat. Es handelt sich um eine sehr vordergründige Stimulanz, die als Akteur auf die Konstruktion dieses Journaleintrags einwirkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich über diese Stimulanz schreiben würde, ist im Hinblick auf dieses Jetzt dann sehr hoch. Es ist nicht die einzige Stimulanz. Schreibend machte mich das neue Stück Software, die verfügbare Zeit bis zum Abendbrot und die zwei Themen (Gespräch, Hamster), die mir aufschreibbar erschienen. Aufgeschrieben habe ich dann aber schließlich diese Stimulanz. Bezüglich der Stimulanzökonomie wäre dementsprechend festzuhalten, dass sich je nach Situation die Wahrscheinlichkeiten dessen was man aufschreibt verändern. Dementsprechend wichtig ist es, die eigene Schreibsituation zu bestimmen, bzw. die eigene “Privatsphäre” (hier verstanden als Einhegung aus besonders gut disziplinierbaren Akteuren) zu schützen.

P.S.: Aus der Sicht der Toxizität, kann das Fernsehen hier als toxischer Akteur in meinem Versuchsaufbau gelesen werden, mit dem ich mich notwendig beschäftigen musste. Ich suchte ihn zu neutralisieren, was ich schaffte, in dem ich die Ablenkung produktiv zu nutzen begann.

2015-07-07-Nachmittag

”This inquiry thus does not consist simply in highlighting the modes but also in identifying for each one the inflections that come up throughout what it would be appropriate to call their ontological history— with apologies to the real historians. Ivan Illich called these moments malign inversions, taking as examples the threshold above which expen- ditures on health, useful up to that point, cause more illnesses than they cure, or the moment when, by dint of multiplying automobiles, we end up, on average, going more slowly than on foot. Each contrast is like a pharmakon that slowly builds up: over the long run, and at high doses, the remedy becomes a poison. We can never avoid all poisons, but we could balance out certain of their effects by carefully administered counter- poisons. There would then be a whole system of dosages and dietary advice, a whole pharmacopeia of modes of existence with which we would have to familiarize ourselves in order to avoid speaking too harshly about category mistakes—while running the risk of being mistaken about the moments when these errors become truly toxic.” — Bruno Latour, An inquiry into modes of existence: an anthropology of the moderns, Cambridge, Massachusetts (Harvard University Press) 2013, S. 261

Und da haben wir also das, was ich versucht habe auf der Ebene der Akteure zu fassen (“toxische Akteure”) auf der Ebene der Existenzweisen. Sehr schön.

Schwierig an dieser Variante ist vor allem aber folgendes: Selbst innerhalb von Existenzweisen kann es zu Problemen kommen. Keine der Existenzweisen ist in sich konfliktfrei oder überraschungslos. Und auch das ließe sich mit toxischen Akteuren erfassen. D.h.: Existenzweise vs. Existenzweise ist eine Art der Toxizität, die verdeutlicht, wie Konflikte zwischen den “Modes of Existence” diplomatisch vermieden werden können, wie gute Rhetorik zustande kommt.

Aber das ist auf der Ebene der Erfassung schwierig zu klären. Wenn ich Akteur-Netzwerke nachzeichne, dann weiß ich noch nicht, welcher Existenzweise dieses Netzwerk zugehörig ist. Und Konflikte tauchen aber schon hier auf. Ich sehe ja schon früh, dass ein Konflikt besteht (Akteur A artikuliert x, Akteur B artikuliert y), ohne dass es um die Art der Assoziation überhaupt schon geht. Und hier kann man feststellen, dass in einem Versuchsaufbau ein Akteur sich toxisch verhält. Selbst wenn mir noch nicht klar ist warum. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es aufgrund der verschiedenen Existenzweise geschieht und dazwischen besser vermittelt werden muss. Aber es kann genauso gut innerhalb einer Existenzweise dazu kommen. Denn es ist ja so, dass es immer noch um Netzwerke geht und es hier also eine Anzahl von Akteuren gibt, die miteinander über Assoziationen in Koexistenz treten und sich dabei verschiedentlich aufeinander beziehen.

Kurz gesagt: Ich bin mir nicht mal sicher, ob es nicht besser wäre die Toxizität nicht ohnehin auf dem Niveau des Akteurs anzusiedeln, anstatt auf der Ebene der Existenzweise. Es scheint mir aber wichtig, wenigstens vorübergehend von zwei Toxizitäten zu sprechen.

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