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2015-06-27-Abend

Könnte die dt. medienwissenschaftliche Faszination für die Kybernetik aus einem schlechten Gewissen hervorgegangen sein? Im Sinne von: Das sind die Waffen des Feindes. Und der Erfolg gegen diese wird als aussichtslos herbeigeschrieben? Denn in ihnen ist ja schon das Kriegsende die Niederlage angelegt? So könne Deutschland nicht gewinnen? Aber vielleicht ja auf dem medienwissenschaftlichen Wege? Es ist ja bekannt, dass vieles in Abgrenzung gegen die Frankfurter Schule getan wurde. Insbesondere gegen Adorno schrieb man an. Damals in den 1960ern. Und davor? Es gibt Max Bense. Es fehlt mir ein Wissen um den intellektuellen Diskurs in Deutschland, Frankreich, Europa, der Welt um das wirklich beurteilen zu können und eigentlich gefällt mir diese verdächtigende Haltung selbst nicht. Aber es könnte doch sein, dass man (Kittler) die Unausweichlichkeit des Krieges auch deshalb herbeigeschrieben hat, um sich, ein bisschen zumindest, der Schuld daran zu entledigen. Diese Vermutung würde auch historisch gut passen. Kittler gehört doch zur Nachkriegsgeneration. Seine akademische Karriere in Händen von jenen, die den Krieg noch mitgemacht hatten. Für eine (und die nächsten zwei) Generation(en) schreibend, die jene Kriegsgeneration gehörig zu Hinterfragen suchten. Beide gleichzeitig “glücklich” machen, beides miteinander verbinden, vielleicht lag darin ja das Projekt? Und wenn es bei Kittler so war, dann war es vielleicht nicht nur bei Kittler so. Alles nur bescheuerte Vermutungen. Ich bin doch kein Soziologe!

Fragen für 2015-06-23-Kittler

(Fragen und Antworten zu Kittlers "Rock Musik")

1.) In welchem Verhältnis stehen hier Götter, Menschen und Medien?

Der Text fängt mit Nietzsche an und referenziert vermutlich den “Tod” Gottes. Direkt zitiert wird jedenfalls eine Stelle aus den fröhlichen Wissenschaften, in denen der Rhytmus einer Sprechweise das Anliegen näher an Gott herantragen könne, denn Verse prägten sich dem Menschen besser ein und man vermutete außerdem, dass man Rhytmisches auch über weitere Strecken hören könne.

Das nimmt Kittler nun zum Anlass diese Idee ins 20. Jahrhundert zu verlängern und mit der Rockmusik zusammen zu bringen. Dabei stellt er erstmal fest, dass Gott (als Empfänger) und der Mensch (als Sender) vor dem Medium selbst “verschwinden” (in dem Sinne, dass es um den sogenannten Menschen geht und dieser lediglich als Speicher- und Übertragungsmedium bei NietzscheXKittler (das ist ein Chiasmus) gedacht wird).

Das Verhältnis ist also: Des Menschen Botschaft an Gott wird, bei genauerem Hinsehen, weder von Gott noch vom Menschen bestimmt, sondern Gott und Mensch sind durch Medientechnik gegeben. Das Ausdrückbare - das von Kittler, das von Nietzsche, das von mir - wird von den Medien vorgegeben: der Begriff vom Menschen ergibt sich aus dem speziellen Ensemble von Akteuren, die zum Ausdruck dieser Begrifflichkeit tendieren.

Mit der Medientechnik der zwei Weltkriege kommt jetzt ein neues Regime, dass mit dem alten Regime gemein hat, dass MenschenXLeute und GottXNeue Götter hier auch wieder auftauchen und Leute von der Medientechnik ebenso eingefangen werden, wie die Griech_innen von ihrer Lyrik. Diese neuen Götter sind dabei, glaube ich, die verschiedenen Medientechniken selbst bzw. deren Virtuosen bzw. das Ensemble dieser Akteure bzw. “der Krieg”.

Am Schluss steht, dass statt Musik genau genommen der Sound, den Kittler auch in anderen Texten beschreibt, also jene Nachbildung und Ausnutzung von Geräuschen zur Produktion von Kunst, den Kanal zu den neuen Göttern beschreibt und dieser Zugang ist also, wie es auch in anderen Texten heißt, viel direkter oder “unmittelbarer”, weil er nicht den Umweg über Verse und einzelne Töne nimmt, sondern die Kriegsrealität zu “simulieren” sucht.

2.) Welche historischen Spuren führen im Text zur TU Berlin?

Der Text macht zwei eindeutige Anspielungen: Erstens gibt es einen Hinweis auf einen Prof. Slaby der TU Berlin, der im Jahr 1904 von Potsdam nach Charlottenburg funkte und dann noch einen auf die Firma Telefunken, nach der an der TU Berlin zumindest ein Hochhaus bis heute benannt ist und damals extra für das Heer gegründet worden war. Darüber hinaus spricht Kittler von Berlin, wenn es um das Tonbandgerät der Beatles geht, mag sein dass auch das auf die TU Berlin referiert.

3.) Welches (historische/ästhetische/politische) Programm formuliert der Titel des Aufsatzes?

Rock Musik wird von Kittler als “Mißbrauch von Heeresgerät” beschrieben, was an eine Wendung anschließt, die ein Propagandist im Ersten Weltkrieg machte. Kittler zeigt, dass sich die ganze Rockmusik, der Sound, der Schnitt, die Übertragung, die Ästhetik als vom Krieg ausgehend sich beschreiben lässt. Dementsprechend wäre das Programm vielleicht, diesen Missbrauch weiter zu führen und auf die Spitze zu treiben, jetzt dann mit den Mitteln des Computers. Allerdings ist das nicht wirklich klar. Genauso gut könnte er meinen, dass man jetzt erstmal auf den nächsten Krieg warten müsste, bevor sich wiederum neue Götter und all das zeigen würden. Vielleicht liegt die Wahrheit auch irgendwo dazwischen, oder beides ist in gleichem Maße wahr. Jedenfalls kann von einem eindeutigen Programm nicht die Rede sein.

2015-05-31-Nachmittag

Mit Blick auf die AlienAnthropologie von gestern, dachte ich gerade, dass wir uns Aliens als "die, mit denen wir nicht kommunizieren können" vorstellen. Warum eigentlich?

Oder anders: Fremd ist uns, was schlecht mit uns kommuniziert. Das mag gar so weit gehen, dass es überhaupt nicht mehr kommuniziert. Es handelt sich also um eine Skala. Wie der Standpunkt der strukturalistischen Forschungsprogramme oder zumindest jener, die auf Shannon/Weaver aufsetzen (Kittler), zu definieren wäre, müsste man sich mal anschauen. Von wo spricht man, wenn man behauptet nichts zu verstehen und lediglich zu beschreiben? Dass darin eine Frische, ein Auffrischungspotential für die Geschichtsschreibung steckt, sehe ich vollständig ein (man sehe sich das Feld der "Digital History" an und vorher: Geschichte als Biologie, Geschichte als Semiotik, Geschichte als Geografie, usw. usf.). Aber wie bleibt man dieser Bewegung treu? Soll heißen: Wie bezahlt man den vollen Preis für diese Distanzierung, wenn sie nicht nur scheinbar sein soll? Der Vorgang, der neue Nähe durch Distanzierung schafft ist nicht leicht herauszulösen, aus der Historie.

Mit Blick auf die Aliens: Da wir hier nicht tricksen können, da wir am Anfang der Untersuchung nur materielle und (uns an-)schweigende Artefakte zu greifen bekommen, wäre erstmal zu zeigen, dass eine Anthropologie ohne Informant_in überhaupt möglich ist. Wie bringt man Artefakte unter diesen Umständen dazu zu sprechen?

Und ist sprechen dann noch das richtige Wort? Wieso erinnert das alles an Hermeneutik, wenn doch die 1960er-Jahre und folgende Jahrzehnte gezeigt haben wollen, dass ein solches "sich Einfühlen" unmöglich, unnötig und gestrig ist? Ich müsste mein Wissen über Hermeneutik und Dekonstruktion mal ausbauen, um zu wissen, was eigentlich was meint, aber das lässt sich vielleicht jetzt schon sagen[^1]:

Wir treten allem, selbst dem Fremdesten, selbst dem "unvorstellbarsten Vorstellbaren" gegenüber, in dem wir Koexistenz anstreben. Koexistenz kommt zustande, in dem Korrespondenz betrieben wird und das heißt, kurz gesagt: Es wird kommuniziert. Allerdings immer unter dem Vorzeichen des Vorfristigen (d.h.: Wir testen). Nur ist dann schon wieder die Brücke geschlagen zwischen "bekannt" und "unbekannt", zwischen "Nähe" und "Ferne", zwischen "Uns" und den "Aliens".

Kurz: Keine Berührung, egal wie vermittelt, lässt unberührt. Wäre aber das nicht gerade die Voraussetzung für Alien-Anthropologie?

[^1]: Hier eine Wendung aus einem Gespräch mit L. aufnehmend, nämlich der, dass etwas miteinander "korrespondieren" kann.

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