Saturday, June 20, 2015
2015-06-20-Abend
Wie @hackr richtig bemerkte (meine Hervorhebung):
“@openmedi wikis sind eine gravitativ ‘schweres’ format; was imo viel flüssiger ist, sind blogs mit tags (mit kontrolliertem vokabular)” (q)
Aber wie findet man ein endliches Vokabular für ein prinzipiell offenes Blog?
Tags werden häufig als Filtermöglichkeiten für Blogs verstanden. Und das ist natürlich auch richtig. Ganz grundsätzlich sind “Tags” aber erstmal nichts weiter als eine Reihe von benannten Listen, unter denen Notizen auftauchen.
Was sieht man hier? Hier sieht man, was Tags tun. Ein Blog ist ja selbst auch nichts weiter als eine chronologische Liste, die umgekehrt chronologisch, die in ihr enthaltenen Elemente anzeigt. Tags geben die Möglichkeit weitere Listen aus diesen Elementen zu erzeugen. Löst man das obige Diagramm auf ergeben sich folgende Listeninhalte:
- Tag1: Blogpost1, Blogpost2, Blogpost3
- Tag2: Blogpost1 und Blogpost3
- Tag3: Blogpost1 und Blogpost2
Die Reihenfolge innerhalb dieser neuen Listen bleibt gleich (umgekehrt chronologisch). Interessanter ist aber hier folgendes: es zeigen sich thematische Zusammenhänge, die sich netzwerkartig darstellen lassen, wie man im Diagramm oben sehen kann.
Auf was ich hinaus will: Diese Listen sind Akteure im Sinne der ANT. Bei der Kulturtechnik der Liste geht es darum einen homogenen Raum für heterogene Elemente zu schaffen. Dementsprechend ist das Problem von Tags das Problem von Listen.[^1]
Es kann bei Listen nicht darum gehen eine Essenz anzugeben, weil sie prinzipiell offen sind. Die Anzahl ihrer Elemente könnte ins Unendliche gehen. Trotzdem ist die Zuordnung zur Liste nicht bedeutungslos sondern konstituiert im Sinne der “Philosophie des Habens”[^2] den Akteur - z.B. “Tag1” - und andererseits werden all die anderen Akteure, die hier als Elemente der Liste auftauchen selbst ergänzt.
Mit diesem kleinen Umweg können wir interessante Fragen bezüglich von Tags stellen, nämlich:
- Welche Akteure möchte ich ins Leben rufen?
- Wie viele dieser Akteure werde ich am Leben halten können?
- Wie ist gleichzeitig eine Lesbarkeit für Leser_innen zu gewährleisten?
Alle drei Fragen sind gleichzeitig anzugehen und wir sehen schon, dass die Antwort auf keine der Fragen einer Historizität entbehrt. Stabile Tags sind nicht möglich, weil sie sich mit jedem Text verändern, soviel war schon vorher klar. Hinzu kommt jetzt noch, dass auch die Antworten auf die Fragen selbst Veränderungen unterworfen sind, die sich nicht a priori und auch nicht durch fortlaufende Disziplin durchhalten lassen. Wie wird dieses Problem gelöst?
Je “allgemeiner” die Akteure sind, desto weniger schlimm sind die Verwerfungen. Angenommen, man würde nur zwischen verschiedenen Medien unterscheiden: Video, Audio, Text, Spiel, Comic, usw. Da diese Tags auch außerhalb des Blogs stabile Kategorien darstellen, ist eine solche Bezeichnungsweise ziemlich sicher, auch auf längere Sicht. Aber nicht nur Medien eignen sich, auch Namen von Autor_innen, von Wissenschaften und anderen Institutionen. Der Nachteil daran ist allerdings, dass diese Unterscheidungen nicht sonderlich spannend sind. Und wenn man mit so einem Blog schon eine Vorrichtung zur “Instauration”[^3] (Herstellung von Akteuren) hat, dann will man (ich) die auch richtig nutzen.
Gleichzeitig scheint mir Frage 3 - also die nach den etwaigen Leser_innen - wirklich wichtig, weshalb diese historisch stabileren Kategorien hier durchaus hergehören. Da auch Tags in eine Liste gehören, hier mal meine provisorische Liste mit Tags:
- eigene Akteure:
- Medien:
- Text
- Audio
- Video
- Spiel
- Comic
- Ding
- Ausstellung
- Mixed Media
- Personen:
- Theorie/Feld/Philosphie/Wissenschaft:
- Perioden:
- (organisiert nach Zeiteinheiten, von groß nach klein, aber nicht zu übertrieben, da sonst zu viele Tags)
Dieser Tag-Apparat wirkt hier so a priori hingeschrieben riesig. Aber das wundert auch nicht: Denn soll ja prinzipiell die ganze Welt im Blog einen Platz finden! Und das noch unter der paradoxen Voraussetzung einer prinzipiell unendlichen Liste bei gleichzeitiger Erhaltung der Lesbarkeit (das wäre hier die Forderung der Endlichkeit der Liste und das am besten so schnell wie möglich…) komme was da wolle!
P.S.: Die obige Liste jedenfalls soll mir erstmal als grundlegende Orientierung genügen. Wichtig ist vielleicht noch, dass ich nicht so sehr versuche die Ingredienzen einer Notiz zu erfassen, sondern die Notiz selbst.
[^1]: Urs Stäheli, Das soziale als Liste. Zur Epistemologie der ANT, in: Friedrich Balke, Maria Muhle, Antonia von Schöning (Hg.), Die Wiederkehr der Dinge, Berlin (Kulturverlag Kadmos Berlin) 2011, 83–101. und Urs Stäheli, Listing the global: dis/connectivity beyond representation?, in: Distinktion: Scandinavian Journal of Social Theory, 13/3, 2012, 233–246.
[^2]: Bruno Latour, Reassembling the social-an introduction to actor-network-theory, Oxford 2005, S. 217 die Idee kommt von Gabriele Tarde, siehe FN 300.
[^3]: Bruno Latour, An inquiry into modes of existence: an anthropology of the moderns, Cambridge, Massachusetts (Harvard University Press) 2013, S. 160
2015-06-20-Nachmittag
(Dieses Posting spiegelt das letzte Posting dieser Art in meinem Wiki und zeigt damit den Übergang von dort nach hier an.)
- "(es sieht im Augenblick sehr danach aus, dass ich mein Wiki gegen etwas eintausche, was besser handhabbar ist - nur: was?)" (q)
- "(Vielleicht gestalte ich das Wiki auch einfach nur rigoros um. Was dem Wiki fehlt ist eine Disziplinierung meiner Person.)" (q)
- "(Zu viel Freiheit an den falschen Stellen, die Arbeit und Rigorosität erfordern, die ich im Augenblick lieber anderweitig nutzen will.)" (q)
- "(Insofern habe ich großen Respekt vor der Disziplin von @plomlompom, denn ich sehe jetzt, was das kostet.)" (q)
- "(Für mich jedenfalls gut, das herausgefunden zu haben.)" (q)
- "(Aber so in einem Wiki öffentlich zu arbeiten führt bei mir dazu, dass mir die eigene Produktivität durch die Finger rinnt.)" (q)
- "(Deswegen passierte in jüngster Vergangenheit auch relativ wenig dort. Es war/ist in dieser Form ein unhaltbarer Versuchsaufbau.)" (q)
- "(Zumal noch hinzukommt, dass meine besseren Texte ohnehin nicht im Wiki entstanden, was ja ein nicht ganz schlechter Indikator ist.)" (q)
- "(Naja. Schreibe da noch ne Notiz zu.)" (q)
Hier ist also die Notiz. Was ist das Problem mit meinem Wiki? Wie ich bei Twitter schrieb, hat das Wiki den großen Nachteil, dass es "zu viel Freiheit an den falschen Stellen" gewährt. Was meine ich damit?
Der größte Vorteil des Wikiparadigmas ist, dass es so einfach ist. Grundlegend handelt es sich bei einem Wiki einfach nur um eine Reihe von Text(dateien), die miteinander über Hyperlinks verknüpft werden können. Damit erfüllt es die Mindestvoraussetzungen für wissenschaftliches Arbeiten: Ich kann sehr viele verschiedene Texte unterschiedlichster Länge schreiben und diese sich auf einander beziehen lassen. Diese Verknüpfung erzeugt Emergenz, d.h. unerwartete Qualität, die die Grundvoraussetzung für Forschung ist. Auf diesem Wege funktionieren in der Dingwelt Labors und von Blumenberg und Luhmann sind uns Karteikästen/Zettelkästen als papierene Varianten solcher Versuchsaufbaue bekannt. In ähnlicher Weise sollte und soll mein Wiki auch fungieren und explorieren wie so etwas auf und mit vernetzten Computern funktionieren kann. Das Wiki sollte als zunehmend zentralste Einrichtung meiner Wissensarbeit alle meine Interessen produktiv miteinander vereinen und synergetisch und d.h. produktiv in Verbindung bringen:
- Meine Arbeit tun: Ganz naiv soll ich mit dem Wiki meinen Aufgaben als Studi eines Masters in Wissenschafts- und Technikgeschichte nachkommen können. Statt Block und Bleistift, oder Karteikarte und Kugelschreiber heißt mein Tool halt “Wiki”. Das ist auf der Ebene aber auch schon alles.
- Wissenschaft und Kommunikation: Das Wiki sollte ein Ort sein, an dem Wissenschaft und Kommunikation gleichzeitig stattfindet, um damit zu zeigen, dass Wissenschaft einer PR-Institution mit dem Titel "Wissenschaftskommunikation" nicht immer benötigt, oder jedenfalls es neben der PR auch noch weitere Zugänge geben kann, die der PR und einander nichts wegnehmen, die sich nicht beschneiden, sondern lediglich die Chance der Teilhabe und -nahme erhöhen. Ich schicke mich nicht an für Andere zu sprechen. Ich glaube aber, dass das was mich interessiert, sehr wohl vermittelbar genug ist bzw. gemacht werden kann. Ich bin überzeugt, dass das im Wiki entwickelte sogar an Realität gewinnt, wenn es eine ständige Schnittstelle gibt, die die Möglichkeit vielfältiger Assoziation (durch mich und andere) ermöglicht. Oder einfach gesagt: Ich kann meine eigenen Forschungen in der Öffentlichkeit auch selbst vertreten und den dadurch stattfindenden Austausch auch gleich wieder als Impuls für mein eigenes Studium nutzen.[^1]
- Öffentliches Arbeiten: Neben dem Effekt, den eine “Kommunizierbarmachung” meiner Arbeit auf Seiten der Arbeit intrinsisch mit sich bringt (neue Ideen und Impulse durch Austausch), besteht so auch die Chance einer reflexiven Untersuchung meiner Arbeit als Untersuchungsgegenstand selbst (und damit sozusagen “extrinsisch” als “von außen”). Da ein Wiki prinzipiell oder theoretisch kein Ende kennt - es kann immer noch eine nächste Seite geben, auf die verlinkt werden kann - gibt es einen sehr schönen Untersuchungsgegenstand für qualitative und quantitative Untersuchungen ab. Am Wiki und seinem speziellen Wachstum wird die Historizität meiner Arbeit ersichtlich und auch lassen sich vermutlich Schwerpunkte, Arbeitsweisen und ähnliches herausarbeiten. Außerdem ist das Wiki im idealen Falle sein eigenes Archiv: Das Wiki gibt über sich selbst in Form eines Wikis Auskunft und ist damit selbstreflexiv. Wichtiger ist hier aber, dass es anderen (und mir) - auch Laien! - die Chance gibt zu sehen, mit was man sich etwa im Bereich der Wissenschafts- und Technikgeschichte befasst und wie das geschieht. Ungeschminkt, unfertig und gewissermaßen “Backstage” bekommt man Zugang. Eine solche Arbeitsweise sollte anderen (und mir) die Möglichkeit geben epistemologische Fragestellungen so empirisch wie möglich beantworten zu können.
- Erklärungs- und Referenzrepositorium: Wie gesagt, handelt es sich beim Wiki auch um eine Art Archiv. Dieser Effekt ist kleiner als ursprünglich gedacht. Ursprünglich nahm ich an, dass ich alle Exzerpte, alle Ideen und alle Texte ins Wiki einfließen lassen würde. Aber nichtsdestotrotz kann ich meine eigenen Gedanken soweit sie im Wiki sind öffentlich verlinken, wiederfinden und vielgestaltig referenzieren. Das ist der große Vorteil eines öffentlichen Schauplatzes des eigenen Denkens: Man muss nicht alles von Null an immer wieder neu erklären oder auffinden.
- "Soziologische" Teststrecke: Ich bin Teil meiner Sphäre und in dieser existieren neben mir andere Akteure, mit denen ich interagiere. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass dieses Wiki nicht auch aus dem Interesse entstanden wäre, mich in dieser außergewöhnlichen Weise diesen Akteuren zu präsentieren und mich gleichzeitig von ihnen zu differenzieren um mich besser und auf interessanterem Wege mit ihnen assoziieren zu können. Es steht außer Frage, dass dieser Umgang mit sich selbst, dem eigenen Denken und der eigenen Unzulänglichkeit - schlicht: dem eigenen Leben - in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich ist. Es ist ein Experiment, dass sich erstmal ganz affirmativ den Möglichkeiten des Netzes gegenüber verhält und dann die Frage nach dem “Ich” in alle dem stellt (kein Subjekt, sondern nach dem Akteur, der von mir mein Ich genannt wird). Ändert sich etwas im Gespräch mit anderen? Ändert sich etwas an mir, wenn ich mehr oder weniger offen über mehr oder weniger alles das Auskunft gebe, was mich umtreibt?
All das ist Dank des Wikis theoretisch möglich. Das Problem liegt darin, dass das Wiki all diesen Anforderungen prinzipiell gerecht werden kann und mich damit einem nicht zu erfülenden Druck aussetzt. Denn das Wiki bietet keine Vereinfachungen für die Erfüllung der oben genannten Aufgaben an. Das wäre nicht weiter tragisch, wenn all diese Aufgaben nicht enorme Wartungskosten mit sich bringen würden. All diese Ebenen meiner Wikibenutzung setzen unterschiedliche Standards für die Erfüllung der damit verbundenen Aufgaben an. Da das Wiki von sich aus nichts tut, außer Wiki zu sein, muss ich so gut wie alles selbst machen. Nun ist es nicht so, dass ich irgendein Wiki nehme, sondern immerhin ikiwiki, was mir immerhin schon eine Menge Arbeit abnimmt. Aber trotzdem bleibt, dass Wartung meine Zeit auffrisst. Das Führen all der Listen, der Versuch meine Routinen zu protokollieren, der Versuch Projekte meines Lebens “in Echtzeit” im Wiki zu dokumentieren und weiterzuentwickeln, nebenbei noch ein Tagebuch zu führen und einen Zettelkasten und all das miteinander zu Verknüpfen, nicht nur im Kopf zu assoziieren sondern auch im Wiki, damit es von außen einsehbar ist, all das hat gezeigt, dass das Wiki zu wenig Möglichkeiten der Automatisierung anbietet, um als zentraler Knotenpunkt zu fungieren. Insofern steht nicht nur das Wiki als Tool, sondern auch die Idee dieses Knotenpunktes zur Disposition. Und das, wie gesagt, nicht, weil mit dem Wiki nicht alle meine Wünsche zu erfüllen wären. Denn sie wären es, aber nur theoretisch! Denn praktisch ist dieses Projekt in meiner Lebenssituation und vielleicht auch darüber hinaus in endlicher Zeit nicht zu machen. Ich brauche Hilfe, ich brauche mehr Automation, um mich und mein Tun auf diese Weise protokollier- und erfahrbar machen zu können.
Was folgt daraus? Ich werde das Wiki nicht einstampfen, nur ausdünnen. Was das Wiki in Zukunft wird, weiß ich nicht, aber das ist die neue Basis, auf der ich es verwenden will:
Das Wiki soll in Zukunft hauptsächlich Referenz- und Erklärungsrepositorium sein. Das heißt, es wird im Wiki zukünftig enzyklopädisch zugehen. Ich werde daneben eine Art Journal in Form eines Blogs anlegen, dass die Aufgabe dieser selbstreferenziellen Einträge übernimmt. Ich erhoffe mir von dieser Aufteilung eine arbeitsmäßige Entlastung. Außerdem dürfte damit klar sein, dass ich mich insgesamt etwas weniger im Netz publiziere (hier im Wortsinn als “veröffentlichen” gemeint).
Hauptseite wird also zukünftig das Journal sein, dass sich unter openmedi.antville.org finden wird.[^2]
[^1]: Man vergebe mir an dieser Stelle bitte, dass ich noch Masterstudent bin und mir Äußerungen dieser Art trotzdem erlaube. Der Grund, warum ich in dieser Weise darüber so spreche ist einfach der, dass mein Studium jetzt schon zum wissenschaftlichen Betrieb gehört, denn sind die Diskussionen in Seminaren und beim Essen oder beim Getränk, meine Nachforschungen und eigenen Vorstellungen und Ideen keinesfalls nur Makulatur. Im Gegenteil informieren sie mindestens meine Person (und, die Vermutung liegt nahe, auch andere, möglicherweise gar andere Wissenschaftler_innen!) jetzt aber auch zukünftig über mein eigene wissenschaftliche Arbeit. Wenn Lehre wirklich nur Lehre wäre und der Graben zwischen ihr und Forschung unüberbrückbar, wenn ich das glauben könnte, dann würde ich selbstredend nicht von Wissenschaft sprechen, wenn ich meine eigene wissenschaftliche Arbeit, die - ja, es stimmt - im Rahmen des Studium stattfindet, erwähne.
[^2]: Das sich dort noch befindliche ANT-Blog wird wahrscheinlich unter anderem Namen auch bei Antville zu finden sein. EDIT: latour.antville.org<
Friday, June 19, 2015
2015-06-19-Nachmittag
Habe mir @kusanowskys Vortrag zur Frage vom Verhältnis von Expert_innen zu Laien angesehen: "Wir kochen Hagebuttenmarmelade"
Er sagt hier, kurz gefasst, in etwa Folgendes: Experten sind Leute, die auf einem bestimmten Feld ein bestimmtes Wissen haben. Dieses Wissen befähigt sie dazu die Gesellschaft auf bestimmte Gefahren hinzuweisen. Dieses Hinweisen auf Gefahren führt zur Unsicherheit unter Laien. Diese Unsicherheit wiederum machen sich Journalist_innen zu Nutze, in dem sie sie thematisieren. Diese Thematisieren geschieht dabei im Wechselspiel zwischen Skandalisierung und Versachlichung. Der_die Expert_in weist also auf Gefahren hin, Laien sind verunsichert und Journalist_innen fragen bei dem_der Expert_in nach, der in der Folge zu erklären versucht, was die Gefahr ist, woraufhin es zu kritischen Nachfragen auf Seite der Journalist_innen kommt. Dieses Muster muss man sich dazu noch multipliziert und gleichzeitig laufend vorstellen, denn Expert_innen stehen in Konkurrenz zueinander und da niemand jemals alles weiß, führt der Versuch der Versachlichung zur oben schon genannten Skandalisierung, die schließlich als Gefährdung den nächsten Zyklus dieses Prozesses anstößt. Dabei nimmt die Intensität notwendig im Maße mit der Konkurrenz (zwischen Expert_innen) zu. Und anstatt besser informiert zu sein, sind die Laien mit fortschreitenden Zeit schlechter informiert. Dies wird dann am Beispiel der Datenschützer_innen durchgespielt.
Datenschützer_innen, wie auch alle anderen Expert_innen befinden sich also in der paradoxen Situation Gefahren zu brauchen, damit man sie fragen kann, wie diesen beizukommen wäre. Bei Datenschützer_innen geht es um die informationelle Selbstbestimmung. Sie sind Rechtsexpert_innen und versuchen daher rechtlich eine solche Bestimmung einzuführen. Das ist aber nicht möglich, weil es sich beim Internet um einen Raum handelt, in dem freiwillig publiziert wird und nimmt man nun noch den Umstand hinzu, dass "Identität" und "Person" kontextuell verschiedene Bedeutungen haben können und darüber hinaus nicht alle Informationen, die zur Beurteilung - selbst mit Kontext - nötig sind auch verfügbar sind, ist die Lösung, für die Datenschützer_innen sich einsetzen eine Schimäre, was in aller Deutlichkeit, die im ersten Teil gemachten allgemeineren Aussagen bestätigt.
Aus all dem folgt, dass eine "Versachlichung", hier jetzt aber mit weniger ironischem Zungenschlag, einsetzen muss bzw. wird, die darauf hinausläuft, dass man sich fragt, wie man eine informationelle Selbstbestimmung selbst durchsetzen könnte und eine Diskussion darüber führte, was das eigentlich bedeuten würde.
In der anschließenden Diskussion wurden dann mehrmalig Fragen der Moral, der Handlungsfreiheit und der behandelbaren Fälle beantwortet: Das Ergebnis all dieser Dinge war, dass einerseits Moral und andere Ingredienzien des demokratischen Selbstverständnisses für den Soziologen Kusanwosky keine Rolle spielen würden, weil der herauspräparierte Zyklus, auch ohne diese Annahmen Bestand hätte. Zugegeben wurde, dass es Fälle gibt, die Sorgen bereiten und lösbar seien, weil in diesen Fällen (Facebook, Geheimdienste) bekannter ist, wer mit wem wie kommuniziert und wer das aus welchem Grunde wissen will. In diesen Fällen sei eine rechtlche Kontrolle sehr wohl möglich (wenn auch offen bleibt, ob diese nicht aus Gründen der Macht nicht durchgesetzt wird). Am Ende wurde klar, dass es Kusanowsky um die Betonung des Falles von "anonymer Kommunikation" ging, in denen das hier beobachtbare stattfindet. Weiterführende Fragen auf diesem Feld, dass mit dem Internet wachse, müssten eine höheren Stellenwert haben und moralische Fragen und behandelbare Fälle würden die Diskussion für ebenjene anonyme Kommunikation blind machen.
Das ist die Situation: Hier wird eine noch offene Frage diskutiert, nämlich die danach, man mit dem Internet umgehen können soll und wie nicht und wie man damit umgehen soll, dass andere mit dem Internet umgehen. Diese Frage ist nicht mal eindeutig zu rahmen und auch meine Rahmung ist nur ein Angebot unter vielen. Eine andere Rahmung wäre: "Wie könnte eine effektive rechtliche Kontrolle des Datenschutzes in Bezug auf personenbezogene Daten aussehen?" Und noch eine: "Ist es moralisch nicht ein Skandal, dass Geheimdienste und Facebook mit meinen Daten überhaupt ungefragt irgendetwas anstellen?!" Dieser Art Formulierungen gibt es sehr viele, die sich, man merkt es, zwar um eine Sache drehen, aber diese Sache hat noch keine eindeutige Existenz. Dementsprechend existiert sie in vielerlei Hinsicht nur in den Formulierungen derjenigen, mit denen wir es hier zu tun haben und ist doch irgendwie "da", sie ist nicht einfach nur eine Idee, sondern strukturiert hier sehr deutlich die Realität. Diese Leute sind zusammengekommen, um darüber zu sprechen, um zu verhandeln, was die Realität einer "informationellen Selbstbestimmung" sein kann und was nicht. Auch der Soziologe arbeitet fleißig an dieser offenen Frage mit. Er ist nicht sonderlich priviligiert. Sein einziges offensichtliches Privileg besteht erstmal nur darin, dass er auf der Bühne steht und einen Vortrag hält und im Bild des Videos ist. Der größte Unterschied besteht eigentlich darin, dass seine Rahmung priviligiert ist und anders als die anderen Rahmungen sehr viel deutlicher zur Disposition steht. Die knapp dreißig Minuten des Vortrags werden dann also auch hauptsächlich dafür verwendet, die Grundlage für die sich daran anschließende Diskussion zu legen. Bemerkenswert hieran ist (und ein_e Diskussionsteilnehmer_in weist darauf auch hin), dass es ursprünglich um das Verhältnis von Laien und Expert_innen ging. Das zeigt auch sehr schön, wie eine Verschiebung der Diskussion, durch die relationale Konfiguration von Rahmen (frames of reference) strukturiert, über was gesprochen wird. Aus diesem Grunde kann man nicht sagen, dass der Soziologe priviligiert ist. Er ist aber gleichzeitig schon. Zum einen, weil sein Rahmen zur Disposition steht und zum Anderen, weil er auf Fragen antworten darf. Diese Position des Antwortgebers, der über seine Rahmung spricht (während er gleichzeitig mit anderen über dieses Etwas redet, dass nicht seine Rahmung ist) erlaubt es ihm zumindest für diese Situation anderer Leute Rahmung für "dumm" oder kurzsichtig zu halten, weil sie daran glauben, dass das Vorgebrachte überhaupt eine Bedeutung (in seinem Rahmen) hätte. Der Grund dafür liegt, so legt es der Vortrag nahe, in seinem Interesse für anonyme Kommunikation, die verschwinden würde, würde er so etwas wie Moral an dieser Stelle miteinbeziehen müssen, würde er behandelbare Fälle zulassen. Denn darum ging es ihm nicht.
Am Ende ist klar, dass die Verhandlung nicht abgeschlossen ist. Ob es informationelle Selbstbestimmung geben kann, kann noch nicht beantwortet werden und auch nicht, wie eine solche Existenz dann aussehen würde. Informiert sind wir darüber, dass anonyme Kommunikation den Soziologen sehr interessiert, was aber nur lose mit dem Problem der informationellen Selbstbestimmung zu tun hat, die hier, so war es zumindest gedacht, nur ein Beispiel, ein Schauplatz, für erstere sein sollte.