openmedi
Saturday, June 20, 2015

2015-06-20-Abend

Wie @hackr richtig bemerkte (meine Hervorhebung):

“@openmedi wikis sind eine gravitativ ‘schweres’ format; was imo viel flüssiger ist, sind blogs mit tags (mit kontrolliertem vokabular)” (q)

Aber wie findet man ein endliches Vokabular für ein prinzipiell offenes Blog?

Tags werden häufig als Filtermöglichkeiten für Blogs verstanden. Und das ist natürlich auch richtig. Ganz grundsätzlich sind “Tags” aber erstmal nichts weiter als eine Reihe von benannten Listen, unter denen Notizen auftauchen.

Source: C:\fakepath\blog-tags.png

Was sieht man hier? Hier sieht man, was Tags tun. Ein Blog ist ja selbst auch nichts weiter als eine chronologische Liste, die umgekehrt chronologisch, die in ihr enthaltenen Elemente anzeigt. Tags geben die Möglichkeit weitere Listen aus diesen Elementen zu erzeugen. Löst man das obige Diagramm auf ergeben sich folgende Listeninhalte:

  • Tag1: Blogpost1, Blogpost2, Blogpost3
  • Tag2: Blogpost1 und Blogpost3
  • Tag3: Blogpost1 und Blogpost2

Die Reihenfolge innerhalb dieser neuen Listen bleibt gleich (umgekehrt chronologisch). Interessanter ist aber hier folgendes: es zeigen sich thematische Zusammenhänge, die sich netzwerkartig darstellen lassen, wie man im Diagramm oben sehen kann.

Auf was ich hinaus will: Diese Listen sind Akteure im Sinne der ANT. Bei der Kulturtechnik der Liste geht es darum einen homogenen Raum für heterogene Elemente zu schaffen. Dementsprechend ist das Problem von Tags das Problem von Listen.[^1]

Es kann bei Listen nicht darum gehen eine Essenz anzugeben, weil sie prinzipiell offen sind. Die Anzahl ihrer Elemente könnte ins Unendliche gehen. Trotzdem ist die Zuordnung zur Liste nicht bedeutungslos sondern konstituiert im Sinne der “Philosophie des Habens”[^2] den Akteur - z.B. “Tag1” - und andererseits werden all die anderen Akteure, die hier als Elemente der Liste auftauchen selbst ergänzt.

Mit diesem kleinen Umweg können wir interessante Fragen bezüglich von Tags stellen, nämlich:

  1. Welche Akteure möchte ich ins Leben rufen?
  2. Wie viele dieser Akteure werde ich am Leben halten können?
  3. Wie ist gleichzeitig eine Lesbarkeit für Leser_innen zu gewährleisten?

Alle drei Fragen sind gleichzeitig anzugehen und wir sehen schon, dass die Antwort auf keine der Fragen einer Historizität entbehrt. Stabile Tags sind nicht möglich, weil sie sich mit jedem Text verändern, soviel war schon vorher klar. Hinzu kommt jetzt noch, dass auch die Antworten auf die Fragen selbst Veränderungen unterworfen sind, die sich nicht a priori und auch nicht durch fortlaufende Disziplin durchhalten lassen. Wie wird dieses Problem gelöst?

Je “allgemeiner” die Akteure sind, desto weniger schlimm sind die Verwerfungen. Angenommen, man würde nur zwischen verschiedenen Medien unterscheiden: Video, Audio, Text, Spiel, Comic, usw. Da diese Tags auch außerhalb des Blogs stabile Kategorien darstellen, ist eine solche Bezeichnungsweise ziemlich sicher, auch auf längere Sicht. Aber nicht nur Medien eignen sich, auch Namen von Autor_innen, von Wissenschaften und anderen Institutionen. Der Nachteil daran ist allerdings, dass diese Unterscheidungen nicht sonderlich spannend sind. Und wenn man mit so einem Blog schon eine Vorrichtung zur “Instauration”[^3] (Herstellung von Akteuren) hat, dann will man (ich) die auch richtig nutzen.

Gleichzeitig scheint mir Frage 3 - also die nach den etwaigen Leser_innen - wirklich wichtig, weshalb diese historisch stabileren Kategorien hier durchaus hergehören. Da auch Tags in eine Liste gehören, hier mal meine provisorische Liste mit Tags:

  • eigene Akteure:
  • Medien:
    • Text
    • Audio
    • Video
    • Spiel
    • Comic
    • Ding
    • Ausstellung
    • Mixed Media
  • Personen:
  • Theorie/Feld/Philosphie/Wissenschaft:
  • Perioden:
    • (organisiert nach Zeiteinheiten, von groß nach klein, aber nicht zu übertrieben, da sonst zu viele Tags)

Dieser Tag-Apparat wirkt hier so a priori hingeschrieben riesig. Aber das wundert auch nicht: Denn soll ja prinzipiell die ganze Welt im Blog einen Platz finden! Und das noch unter der paradoxen Voraussetzung einer prinzipiell unendlichen Liste bei gleichzeitiger Erhaltung der Lesbarkeit (das wäre hier die Forderung der Endlichkeit der Liste und das am besten so schnell wie möglich…) komme was da wolle!

P.S.: Die obige Liste jedenfalls soll mir erstmal als grundlegende Orientierung genügen. Wichtig ist vielleicht noch, dass ich nicht so sehr versuche die Ingredienzen einer Notiz zu erfassen, sondern die Notiz selbst.

[^1]: Urs Stäheli, Das soziale als Liste. Zur Epistemologie der ANT, in: Friedrich Balke, Maria Muhle, Antonia von Schöning (Hg.), Die Wiederkehr der Dinge, Berlin (Kulturverlag Kadmos Berlin) 2011, 83–101. und Urs Stäheli, Listing the global: dis/connectivity beyond representation?, in: Distinktion: Scandinavian Journal of Social Theory, 13/3, 2012, 233–246.

[^2]: Bruno Latour, Reassembling the social-an introduction to actor-network-theory, Oxford 2005, S. 217 die Idee kommt von Gabriele Tarde, siehe FN 300.

[^3]: Bruno Latour, An inquiry into modes of existence: an anthropology of the moderns, Cambridge, Massachusetts (Harvard University Press) 2013, S. 160

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