openmedi

2015-04-12-Nachmittag2

Erstaunlich wie lange es dauerte, ehe ich mir selbst eingestehen konnte, was ich in meinem Leben hauptsächlich machen will, machen kann. Lesen und Schreiben. Nicht programieren. Nicht Spiele. Lesen und Schreiben. Alles andere folgt. Es folgt daraus, dass daraufhin alles angelegt werden sollte und wird. Habe das Spielen vollständig eingestellt und lasse meine Spiele textlich stattfinden. Hole mir Dopamin jetzt übers Schreiben in sozialen Medien. Auch kaum noch Sport. Leider immer noch zu viel reddit. Zu viel toxische Stimulanz.

Ich glaube meine größte Angst war und ist etwas zu verpassen. Stelle aber auch vermehrt fest, dass wenn ich genau hinschaue, vieles gar nicht möchte. Selbstbestimmung, so gut es geht, ist wichtig. Biografisch habe ich diese Erkenntnis auch integrieren können: Seit der Jugend geschrieben, Schülerzeitung gegründet, Band gehabt (Lieder geschrieben), Medieninformatik studiert (weil ich Journalist werden wollte; Gamewriter wollte ich dann sein, weil das mit "Digitale Medien" gegangen wär'…), Medieninformatik abgebrochen (weil doch nicht meins), Geisteswissenschaft/Geschichte angefangen (lange Zeit mir selbst nicht genug eingestanden, dass Programmieren und Technik stets nur Krücke für den Wunsch zu schreiben war), zunehmend mehr Ahnung vom Feld, mehr Wissen und bessere Fähigkeiten im Ausdruck und habe bald auch Themen, Kann etwas sagen, was ein bisschen Aufmerksamkeit erregt, habe den Ehrgeiz. Aber leider auch depressiv, besoffen und zerrissen, da ich alles gleichzeitig sein wollte und daher unglücklich. Lasse das zunehmend. Mache das was ich mache und mache es gut. Werde auch dadurch menschlicher. Und nutze meine Zeit richtiger.

Also: Schreiben und Lesen schon immer wichtig, notwendig für mein Leben, mein Dasein. Unterbrochen von Fünf Jahren Selbstfindung, Zweifel, Depressionen und Ausprobieren anderer Dinge (die mich entweder nicht halten konnten, oder mich abstießen - manche Gruppen können mich nicht gebrauchen, und ich sie nicht). Aber es war und ist immer da. Mir gehen ja alle anderen Erfahrungen nicht verloren. Aber je mehr ich wieder zum Leser werde, je mehr ich mein Medium akzeptieren kann, desto besser wird es. Das in der jüngeren und mittleren Vergangenheit unbewusst als Unterströmung sowieso vorhanden. Aber zunehmend bewusst. Genieße das so sehr, dass ich andere daran positiv teilhaben lassen kann und teilhaben lasse (siehe [[NewRepublicOfLetters]]).

Ich muss gar nicht alles machen. Ich muss auch gar nicht alles kennen. Sondern nur der Nerd sein, der ich sein will. Nicht der Nerd, der von der Zeit verlangt wird (jedenfalls glaube ich das). Sehe daran auch Parallele zu Latour: Der ist sich stets treu geblieben und berührte auf seine Weise zunehmend verschiedene Lebensbereiche. Fand eine Möglichkeit seine Tätigkeit zu seinem Leben zu machen.

"Ziel einer Ausbildung ist es, den Studis den Prozess des “going native” zu ermöglichen. Soll heißen: Die Übernahme der Gepflogenheiten des wissenschaftlichen Stammes, der Community, der sich später einmal angehören sollen. Schwer “go native” in deutschen Texten zu verwenden, "kulturelle Anpassung" scheint aber nicht recht passen zu wollen."

(siehe [[2015-03-30-Nachmittag]])

Und ich muss Eingeborener in meinem eigenen Leben werden und es nicht aus einer virtuellen Entfernung betrachten. Mir ist mein eigenes Tun immer noch fern, immer noch ist da diese Sekpsis und diese Vorbehalte, als wenn ich es mir selbst noch nicht so richtig glaube, als wenn ich das Gefühl habe dafür gehänselt werden zu können oder - gleichzeitig stark - man mir bescheinigt ein Scharlatan zu sein. Und ich bins ja (jedenfalls habe ich zu wenig gelesen bis jetzt für das was ich alles sage)! Aber es geht nicht anders. Wissenschaft ist Experiment und Versuch und damit Risiko. Ohne Behauptungen, ohne Versuche ist da keine Möglichkeit des Neuen. Aber es fällt mir schwer das zu rechtfertigen. Und das wiederum ist unwissenschaftlich. Die Suche nach der Rechtfertigung hingegen - das ist Wissenschaft.

Und allem überschrieben ist die Moral. Immer und immer wieder.

P.S.: Ich sollte mal schauen, was mein Audio-Experiment "Schnipsel" eigentlich taugt. Das Unterbewusste wirkt stark in mir. Und ich hab nicht mal ne Freud-Einführung gelesen und weiß nicht wirklich wovon ich spreche. Und das ist unwissenschaftlich. Das Risiko einzugehen die Behauptung zu machen hingegen, ist wissenschaftlich. Usw.

2015-03-26-Morgen

In ähnlicher Weise, wie man sich die Produktion von Fakten als den Prozess der zunehmenden Befestigung von Aussagen vorstellen kann, kann man dieses Modell auch für die Lehre nutzen.[^1] Bezüglich der Ausbildung zum_zur Wissenchafts- und Technikhistoriker_in ergeben sich daraus interessante Erklärungen für häufig auftretenede Probleme. Eine Lösung könnte die Konzeption geisteswissenschaftlicher Studiengänge entlang eines Skilltrees sein.

Ewige Grundsatzdiskussionen

Das was in Seminaren häufig nervt, sind Grundsatzdiskussionen. Diese kommen zustande, weil Studis im Gegensatz zu Wissenschaftler_innen Fakten nicht als Fakten, sondern als Aussagen wie alle anderen ansehen. Und woher soll ihr Wissen um die relative Festigkeit von Fakten auch kommen? Was das aber auch bedeutet: Es ist fast vollständig dem_der Dozent_in überlassen zu erklären, warum manche Dinge Fakten und andere keine Fakten sind. Und das bedeutet häufig, dass die Blackbox (siehe [[Blackbox]] und [[BlackBoxSatz]]) - beispielsweise "dasundas ist sozial konstruiert" oder "im Diskurs zeigte sich diesesundjenes" - geöffnet werden muss. Es muss gezeigt werden, was Sozialkonstruktivismus ist - aus was es besteht und wie es entstanden ist - und es muss gezeigt werden, was mit dem Begriff "Diskurs" gemeint ist, bevor solche Sätze wie die eben genannten überhaupt Bestand vor den (und Plausibilität für die) Studis haben können.

Ruhe im Raum kann dabei auch täuschen. Wenn man den Fragen der Studis ausweicht, oder den Eindruck vermittelt diese nicht beantworten zu wollen, dann ist zwar auch Ruhe, aber kaum jemand vermag dem was vorne passiert zu folgen. Die verwendeten Fakten sind dann für die Studis nämlich keine. Vielmehr klingt das Gesagte in etwa so, wie wenn sich Sims unterhalten: Irgendwas wird artikuliert, aber es wird überhaupt nicht klar, was artikuliert wird und bleibt daher unverständlich. Mit ein bisschen Glück wird das grobe Thema klar, mehr aber nicht.

Was das außerdem bedeutet: Da wir über die Geisteswissenschaftliche Ausbildung reden, läuft hier vieles viel freier, viel offener als in anderen Bereichen der Universität ab. Man kann in den Lehrveranstaltungen daher nicht voraussetzen, dass irgendjemand von irgendwas schon gehört hat. Manchmal versuche ich mir vorzustellen, wie eine geordnetere Ausbildung in unserem Bereich aussehen könnte und komme dabei eigentlich immer auf die Idee des Skilltrees, wie man ihn aus Diablo 2 kennt, zurück.

Skilltrees als Grundlage für geisteswissenschaftliche Ausbildung?

[^2]

Das, was ich oben "Fakten" nannte, könnte man nämlich auch als Konzepte bezeichnen, die es zu meistern gilt. Da Konzepte der Geisteswissenschaften verschiedentlich aufeinander aufbauen, was historisch bedingt ist, ist es sinnvoll und möglich(!) eine Reihenfolge von zu erlenenden Konzepten zu erarbeiten. Diese Reihenfolge könnte man dann als Grundlage für einen Skilltree, etwa der Wissenschafts- und Technikgeschichte, verwenden.

Am Anfang der Heldenkarriere stehen einem also prinzipiell alle Wege offen, aber nicht alle Konzepte sind sofort zugänglich, was die Realität ganz gut widerspiegelt. Außerdem passt diese Konzeption auch sehr gut auf das Problem der Auswahl, wie es Bruno Latour am Beispiel des Brettspiels Go beschreibt:

"The game of go starts from an empty board to which stones are added in successive moves. The added stones do not move around the board as, for example, in chess. Consequently, the first moves are almost entirely contingent […]. As the game progresses, however, it becomes less and less easy to play anywhere; as in the agonistic field, the results of earlier play transforms the set of future possible moves. Not all moves are equally possible […]. Indeed, some are totally impossible […], others are less likely, and some are almost necessary […]. As in the agonistic field, the changing pattern is not orderly […]"[^3]

"In terms of the analogy with "go" he began to fill his board with random moves. Consequently, as he progressed further, he realised that it was no longer possible to make just any statement on the basis of this accumulated material. In addition, our observer found himself able either to counter or support some of the arguments in the science studies literature. He could also transform them into artefacts or facts with the use of the objects he had begun to amass. He began to write articles and to operate in his own agonistic field."[^4]

In ähnlicher Weise füllt ein Studi im Verlauf seiner Ausbildung seinen Skilltree mit Punkten in verschiedenen Fähigkeitenslots. Ähnlich wie es bei Diablo 2 unmöglich war Punkte auf alle Fähigkeiten zu vergeben, ist auch im Studium die Zeit begrenzt in der der_die Studierende etwas lernen kann. Außerdem ist das was gelernt wird stark vom Zufall abhängig. Da außerdem nicht alle Konzepte zur gleichen Zeit zugänglich sind (was aus den o.g. Gründen sinnvoll ist), ist trotz der relativen Auswahlfreiheit der Studis in ihrem Studium auf diese Weise gesichert, dass sie sich ein Profil erarbeiten, dass in sich konsistent ist. Außerdem ermöglicht eine solche Studiumskonzeption, dass Seminare tatsächlich Voraussetzungen haben können, weil sichergestellt ist, dass die Student_innen die im Kurs benötigten Konzepte bereits in einer anderen Veranstaltung erarbeitet haben.

P.S.: Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dazu schonmal geblogt hab, kann es aber nicht finden. Oh, well…

[^1]: Bruno Latour, Science in Action. How to follow Scientists and engineers through society, Cambridge (Havard University Press) 1987.

[^2]: Bildquelle: How to make a Meteorb Sorceress.

[^3]: Bruno Latour, Steve Woolgar, Laboratory Life. The Construction of Scientific Facts, Princeton (Princeton University Press) 1986, S. 247-248

[^4]: Bruno Latour, Steve Woolgar, Laboratory Life. The Construction of Scientific Facts, Princeton (Princeton University Press) 1986, S. 255

Republish: AlteNeueGeschichte

Dass es bei der Geschichte um Geschichten (Plural) geht liegt schnell auf der Hand: Allein, dass man einen Unterschied zwischen alter Geschichte und neuerer Geschichte (und neuster Geschichte) macht deutet darauf ja schon hin. Trotzdem scheint mir der Grund dafür immer noch hauptsächlich in der Tatsache begründet, dass man möglichst große Geschichten, große Erzählungen (wenn denn eine Geschichte schon nicht funktioniert) schreiben möchte. Epochen sind demnach nicht nur für die Periodisierung (siehe [[Perdiodisierung]]) im Sinne einer Interpretation des auf der Welt Passierten zu begreifen, sondern anders herum (auch) als Sinneinheiten, in der sich homogene Narrative gerade noch umsetzen lassen. Auch der Stil der jeweils umgesetzten Geschichte lässt sich in den Unterschieden von alter zu neuer Geschichte erkennen: diese ergeben sich allein schon aus den Ansprüchen, die sich aus der jeweiligen Quellenbasis herleiten. Wer viele Quellen hat, wird eine "Epistemologie des Details"[^1] eher vorziehen als eine große Erzählung. Als unabhängige aber in Beziehung gesetzte Forschungsprogramme entsteht daraus eine gewisse Reibung. Diese lässt sich natürlich nicht auflösen. Es ließe sich aber vermutlich zeigen, dass es sich um verschiedene Forschungsprogramme handelt und dass es möglich ist sich die Relation der verschiedenen Forschungsprogramme zu nutze zu machen, um die großen Erzählungen historisch-epistemologisch zugänglich zu machen, in dem wir sie als einen Versuchsaufbau neben anderen darstellen. Kurz gesagt: Es wäre eine Geschichte der Fallstudien und Versuchsaufbaue der Disziplin Geschichte denkbar, die Mikrogeschichte (siehe [[MikroGeschichte]]) (oder hier vielleicht wirklich: Mesogeschichte[^2]) wäre und trotzdem die großen Erzählungen, die pädagogisch und heuristisch durchaus wertvoll sind, als Aussagensysteme (also diskursiv) oder Akteur-Netzwerke (siehe [[NetzwerkANT]]) integriert. Im Prinzip versuche ich das mit meinem Projekt [[DieGeschichte]] umzusetzen (wenn ich es denn versuche…).

[^1]: Hans-Jörg Rheinberger, Experimentalsysteme und epistemische Dinge, (Suhrkamp) 2006, S. 174-175

[^2]: Patricia Lengermann, Gillian Niebrugge, Moments in the Methodology of Meso History, in: The American Sociologist, 38/4, 2007, 340–351.

You are not logged in