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2015-03-26-Morgen

In ähnlicher Weise, wie man sich die Produktion von Fakten als den Prozess der zunehmenden Befestigung von Aussagen vorstellen kann, kann man dieses Modell auch für die Lehre nutzen.[^1] Bezüglich der Ausbildung zum_zur Wissenchafts- und Technikhistoriker_in ergeben sich daraus interessante Erklärungen für häufig auftretenede Probleme. Eine Lösung könnte die Konzeption geisteswissenschaftlicher Studiengänge entlang eines Skilltrees sein.

Ewige Grundsatzdiskussionen

Das was in Seminaren häufig nervt, sind Grundsatzdiskussionen. Diese kommen zustande, weil Studis im Gegensatz zu Wissenschaftler_innen Fakten nicht als Fakten, sondern als Aussagen wie alle anderen ansehen. Und woher soll ihr Wissen um die relative Festigkeit von Fakten auch kommen? Was das aber auch bedeutet: Es ist fast vollständig dem_der Dozent_in überlassen zu erklären, warum manche Dinge Fakten und andere keine Fakten sind. Und das bedeutet häufig, dass die Blackbox (siehe [[Blackbox]] und [[BlackBoxSatz]]) - beispielsweise "dasundas ist sozial konstruiert" oder "im Diskurs zeigte sich diesesundjenes" - geöffnet werden muss. Es muss gezeigt werden, was Sozialkonstruktivismus ist - aus was es besteht und wie es entstanden ist - und es muss gezeigt werden, was mit dem Begriff "Diskurs" gemeint ist, bevor solche Sätze wie die eben genannten überhaupt Bestand vor den (und Plausibilität für die) Studis haben können.

Ruhe im Raum kann dabei auch täuschen. Wenn man den Fragen der Studis ausweicht, oder den Eindruck vermittelt diese nicht beantworten zu wollen, dann ist zwar auch Ruhe, aber kaum jemand vermag dem was vorne passiert zu folgen. Die verwendeten Fakten sind dann für die Studis nämlich keine. Vielmehr klingt das Gesagte in etwa so, wie wenn sich Sims unterhalten: Irgendwas wird artikuliert, aber es wird überhaupt nicht klar, was artikuliert wird und bleibt daher unverständlich. Mit ein bisschen Glück wird das grobe Thema klar, mehr aber nicht.

Was das außerdem bedeutet: Da wir über die Geisteswissenschaftliche Ausbildung reden, läuft hier vieles viel freier, viel offener als in anderen Bereichen der Universität ab. Man kann in den Lehrveranstaltungen daher nicht voraussetzen, dass irgendjemand von irgendwas schon gehört hat. Manchmal versuche ich mir vorzustellen, wie eine geordnetere Ausbildung in unserem Bereich aussehen könnte und komme dabei eigentlich immer auf die Idee des Skilltrees, wie man ihn aus Diablo 2 kennt, zurück.

Skilltrees als Grundlage für geisteswissenschaftliche Ausbildung?

[^2]

Das, was ich oben "Fakten" nannte, könnte man nämlich auch als Konzepte bezeichnen, die es zu meistern gilt. Da Konzepte der Geisteswissenschaften verschiedentlich aufeinander aufbauen, was historisch bedingt ist, ist es sinnvoll und möglich(!) eine Reihenfolge von zu erlenenden Konzepten zu erarbeiten. Diese Reihenfolge könnte man dann als Grundlage für einen Skilltree, etwa der Wissenschafts- und Technikgeschichte, verwenden.

Am Anfang der Heldenkarriere stehen einem also prinzipiell alle Wege offen, aber nicht alle Konzepte sind sofort zugänglich, was die Realität ganz gut widerspiegelt. Außerdem passt diese Konzeption auch sehr gut auf das Problem der Auswahl, wie es Bruno Latour am Beispiel des Brettspiels Go beschreibt:

"The game of go starts from an empty board to which stones are added in successive moves. The added stones do not move around the board as, for example, in chess. Consequently, the first moves are almost entirely contingent […]. As the game progresses, however, it becomes less and less easy to play anywhere; as in the agonistic field, the results of earlier play transforms the set of future possible moves. Not all moves are equally possible […]. Indeed, some are totally impossible […], others are less likely, and some are almost necessary […]. As in the agonistic field, the changing pattern is not orderly […]"[^3]

"In terms of the analogy with "go" he began to fill his board with random moves. Consequently, as he progressed further, he realised that it was no longer possible to make just any statement on the basis of this accumulated material. In addition, our observer found himself able either to counter or support some of the arguments in the science studies literature. He could also transform them into artefacts or facts with the use of the objects he had begun to amass. He began to write articles and to operate in his own agonistic field."[^4]

In ähnlicher Weise füllt ein Studi im Verlauf seiner Ausbildung seinen Skilltree mit Punkten in verschiedenen Fähigkeitenslots. Ähnlich wie es bei Diablo 2 unmöglich war Punkte auf alle Fähigkeiten zu vergeben, ist auch im Studium die Zeit begrenzt in der der_die Studierende etwas lernen kann. Außerdem ist das was gelernt wird stark vom Zufall abhängig. Da außerdem nicht alle Konzepte zur gleichen Zeit zugänglich sind (was aus den o.g. Gründen sinnvoll ist), ist trotz der relativen Auswahlfreiheit der Studis in ihrem Studium auf diese Weise gesichert, dass sie sich ein Profil erarbeiten, dass in sich konsistent ist. Außerdem ermöglicht eine solche Studiumskonzeption, dass Seminare tatsächlich Voraussetzungen haben können, weil sichergestellt ist, dass die Student_innen die im Kurs benötigten Konzepte bereits in einer anderen Veranstaltung erarbeitet haben.

P.S.: Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dazu schonmal geblogt hab, kann es aber nicht finden. Oh, well…

[^1]: Bruno Latour, Science in Action. How to follow Scientists and engineers through society, Cambridge (Havard University Press) 1987.

[^2]: Bildquelle: How to make a Meteorb Sorceress.

[^3]: Bruno Latour, Steve Woolgar, Laboratory Life. The Construction of Scientific Facts, Princeton (Princeton University Press) 1986, S. 247-248

[^4]: Bruno Latour, Steve Woolgar, Laboratory Life. The Construction of Scientific Facts, Princeton (Princeton University Press) 1986, S. 255

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