Spät schreibt er, aber er schreibt. Ich habe einen sehr produktiven Tag hinter mir, in dem ich vor allem weltliche Dinge ins Rollen brachte. Ich habe z.B. einen Stundenplan gebaut:
Die Quarters sind halbe Semester. Man schafft hier in Aarhus also vier Kurse in einem Jahr zu je ca. 5 ECTS. Zumindest auf dem Papier ein gutes System.
Habe die letzten Tage hauptsächlich in der Bibliothek verbracht und mit meinem Setup gerungen und bin jetzt wieder dort angelangt, wo ich einst loslief: Soll heißen ikiwiki. Aber sehr anders als zuvor. Ich will das bei Gelegenheit drüben bei EDIT vernünftig vorstellen.
Mir liegt das frühe Aufstehen erstaunlicherweise. Heute auch wieder. Ich stehe gegen 7 auf, mache mir Frühstück und Stullen für den Tag und mache mich auf den Weg. Ich bin selten nach 09:30 Uhr in der Bib. Zurzeit laufe ich noch die 30 bis 40 Minuten bis dorthin. Aber ich versuche mir ein Fahrrad zu organisieren. Laut meinem Buddy N. ist Fahrradfahren auch im Winter kein Problem.
Morgen gehe ich endlich zum Barbier und hoffe inständig, dass ich danach nicht weinen muss. Mit Barber’s in Berlin war ich immer so glücklich, hoffen wir, dass Aarhus Barber ebenfalls gut sein wird.
Ich habe außerdem meine Rückfahrt - mein Opa wird 80 und ich werde ein verlängertes Wochenende in Berlin sein - nach Berlin organisiert und bin jetzt stolzer Besitzer einer Bahncard 25 (denn für Auslandsfahrten kriegt man eh nur 25 Prozent…). Die finanzielle Lage ist dank der ersten Erasmusrate fürs Erste auch stabil, wenn auch - wie eigentlich immer in meinem Falle - prekär. Ich lebe mich so langsam ein. Ich weiß, wo ich Dinge einkaufen kann, wenn auch noch nicht alles, mir fehlt noch Zugang zu vegetarischen Produkten. Ich kann mich so langsam orientieren und die erste übermächtige Unsicherheit der Fremde ist auch überwunden wie es scheint. Damit einhergehend auch ein bisschen der Zauber. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass Dänemark zwar Fremde ist, aber in dieser Fremde viel liegt, was sich aus historischen Gründen mit meiner heimischen Umgebung verbinden lässt, es gibt hier nämlich ein bisschen deutsche Kultur dank der deutschen Minderheit.
Facebook ist mir bei der Orientierung und der Organisation der Dinge hier vor Ort eine große Hilfe. Es gibt viele Gruppen, die sich als nützlich und hilfreich erweisen, selbst wenn ich so gut wie nichts beizutragen habe.
Ich fühle mich, auch das sei zugegeben, noch etwas orientierungs- und ziellos. Ich organisiere, arbeite, schreibe und lese zwar den ganzen Tag, aber es scheint nur sehr schwerfällig voran zu gehen. Alles für das Leben hier muss mühsam recherchiert und dann durchgeführt werden, was mich vom Lesen und Schreiben abhält. Das gefällt mir nicht. Sollte ich einfach lesen und schreiben, bis das Leben an die äußere Schädeldecke klopft? Klopft es vielleicht schon und deswegen fühle ich mich wie in so einer Zwischenwelt? Zwischen lesen und schreiben und der Organisation des Lebens hier, die nicht gerade wenig Zeit in Anspruch nimmt, fällt es schwer zu entscheiden auf was ich mein ganzes Gewicht legen kann. Da es noch nicht losgeht mit dem Studieren, kann ich noch nicht absehen, wie realistisch meine Hausarbeitenpläne sind. Und sollte ich mir nicht auch die Stadt ansehen? Und dänisch lernen? Einen Sportkurs besuchen? Und natürlich: Leute kennenlernen? Letzteres passiert ohnehin, daran habe ich keinen Zweifel.
Kurz: Es geht voran, auch wenn die Organisation der Dinge viel Zeit und Energie in Anspruch nimmt und ich außerdem nicht so viel Zeit mit lesen und schreiben verbringen kann, wie ich gerne wollen würde. Hinzu kommt, dass die nähere Zukunft bezüglich meiner verfügbaren Zeit hier in Aarhus ungewiss ist und es mir daher schwer fällt eine gewisse Ignoranz - die fürs unablässige Lesen und Schreiben nötig ist - gegenüber dem weltlichen Geschehen um mich herum vor mir selbst schwer verteidigen kann. Wenn ich mich jetzt bis zu den Ohren in die Geschichte Walter Benjamins stürze und dann feststelle, dass ich ab nächster Woche für nichts Zeit habe, außer den Kursen an der Uni, was habe ich dann gekonnt? Andererseits: Spielt das eine Rolle, wenn ich alles in mein neues Zettelkastensystem einpflege?
Es scheint mir alles andere als unproblematisch, wie mir mein Setup hier jetzt anscheinend ständig durch die Finger zu gleiten droht. Habe heute, nach dem ich den ganzen Samstag und den Sonntag damit verbracht habe einen rudimentären Zettelkasten in Devon Think einzurichten und sogar bei denen ins Forum schrieb, um ein paar einfache Komfortfunktionen zu basteln. Ergebnis war dann, als ich heute nichtsahnend früh in der Bibliothek ankam, dass der Aufwand hoch, aber auch meine Einrichtung sich als fehlerhaft erwies und damit ist die ganze Arbeit den Zettelkasten zu verwenden wieder futsch. Positiv war, dass ich mich davon aber nicht abhalten lies und Tinderbox verwendete, was durchaus gut funktionierte und eine sehr schöne eierlegende Wollmilchbuttersau darstellt. Ich habe lediglich ca. 15 Seiten aus dem Benjamin-Handbuch geschafft, weil es einfach so viele Informationen zu übertragen gab, gleichzeitig sehe ich schon, dass mit dieser Spielwiese eine Menge anzufangen ist.
Was Tinderbox aber nicht ist - und das macht mich unglücklich - ist ein Ort für alle meine Notizen. Vielleicht ist es das noch nicht. Aber ein großes Problem, was ich gerade eben hatte war, dass ich mit meiner Benjamin-Arbeit soweit fertig war für heute und noch ein bisschen im Kierkegaard-Tagebuch lesen wollte und das aber nicht in die “Tinderbox” für meine BenjaminLatour-Hausarbeit schreiben konnte. Das ist insofern doof, weil ich mir auf diese Weise ja die Chance der Verknüpfung dieser durchaus unterschiedlichen Themen nehme. Und das ist doch Schade. Ich muss unbedingt herausfinden, wie man in Tinderbox oder notfalls außerhalb Tinderbox ein Notizensystem schafft, das verlässlich läuft und Tags und Zwei-Wege-Hyperlinks kann oder so etwas in der Art. Es ist nämlich klar geworden, dass darin die Stärke des Zettelkastens liegt: Dass man von beiden Seiten die Verknüpfung von Notizen sehen kann (bei Luhmann wurde das über einen Index gelöst). Man kann das auch mit dem rudimentärsten Wiki-System machen. Dann gibt es “Zettel In” und “Zettel Out” und man vermerkt jeweils auf beiden Seiten im jeweiligen Abschnitt die Verlinkung. Das wird aber schnell (wie ich bei DevonThink feststellen musste) eine Sisyphusaufgabe. Insbesondere, wenn man Zettel mit mehr als einem Stichwort versieht und dementsprechend viele Zweiwegelinks anlegen muss.
Ich bin mir nicht sicher, ob auch das im Luhmann’schen Sinn noch ein Zettelkasten ist, aber eine große Anzahl von Zettelfäden zu erzeugen, scheint mir sehr lohnenswert, weil man auf diese Weise eine immer größer werdende Redundanz erzeugt. Jeder Zettel wird auf diese Weise zu einem mit der Zeit immer mächtigeren Knoten, in deren Umfeld thematisch und inhaltlich ähnliche Zettel zu finden sind, die dann wieder ganz im Sinne Luhmanns Emergenzeffekte haben. Das ist, was ich schon innerhalb kürzester Zeit - ca. 2 Wochen, bei 295 Zetteln und 123 Stichworten - feststellen konnte. Dass dann aber leider das Programm, Zettelkasten von Daniel Lüdecke, mit der Redundanz nicht mehr klar kam und jetzt bei jeder neuen Verlinkung zu ächzen beginnt (ich warte ewig, bis ich einen neuen Zettel aufrufen kann, von einer weiteren Folgeverzettelung gar keine Rede…), ist schade, weil ich diese Arbeitsweise sehr gut und im übrigen zur ANT passend fand.
Sowohl DevonThink als auch Tinderbox scheinen mir für das was ich tun will jedenfalls nicht sehr gut geeignet. Bei Tinderbox, so schön das Programm eigentlich verschiedene tolle Features miteinander verbindet, kommt hinzu, dass es in gewisser Weise zu hierarchisch ist. Der Vorteil eines Zettelkastens ist, dass je nach Bedarf diese oder jene Folgeverzettelung von Bedeutung sein kann. Ich bin mir sicher, dass man das auch mit Tinderbox hinkriegen könnte, aber ich muss mich damit erst noch eingehender befassen. Und irgendwie habe ich außerdem die Befürchtung, dass Tinderbox nicht performativ genug ist, um sozusagen eine “Tindexbox” für alles zu haben. Möglicherweise ist es aber möglich. Möglicherweise wäre jetzt der Absprung auch noch zu machen und nicht erst wieder nach zwei Wochen. In dem oben verlinkten Forumsbeitrag wurde ich auf das Windowstool Connected Text hingewiesen. Möglicherweise ist auch das eine Alternative, die ich mir ansehen könnte.
Nachdem ich das Wochenende sehr ruhig anging und mich eigentlich kaum aus der Wohnung bewegte (war lediglich noch einmal einkaufen), machte ich heute eine größere Runde durch die Stadt: Zuerst gab ich meinen Mietvertrag beim International Center ab und wohne damit auch offiziell hier. Es ist immer noch seltsam in einem solchen, auf mich sehr teuer wirkenden, modernen Gebäude zu wohnen. Anschließend besuchte ich dann diesmal auch erfolgreich Løve’s Antikvariat und es stellt sich heraus, dass es erstens ein sehr schönes kleines Kellerantiquariat ist, dass zweitens immerhin zwei Regalbretter deutsche Bücher (und anderthalb Regale englische Bücher) im Angebot hat und drittens die deutschen Bücher zum größten Teil aus dem Bereich Avantgarde (z.B. Theorie der Avantgarde), kritische Theorie (z.B. Traditionelle und Kritische Theorie) und Marxismus (viel Brecht, wenn das zählt, etwa seine Gedichte) zu stammen scheinen. Das trifft sich sehr gut, schreibe ich doch gerade über Walter Benjamins Kunstwerkaufsatz eine Hausarbeit.
Toll war, dass es sich bei dem Antiquariat anscheinend um eine Kellerwohnung zu handeln schien, wie die Küche, die in den Öffnungszeiten ebenfalls Verkaufsraum war, verriet. Zu gerne hätte ich mit der Verkäuferin kurz darüber gesprochen, aber sie war ihrerseits ebenfalls in ein Gespräch mit einer Freundin wie mir schien vertieft und so machte ich mich - fürs Erste auch ohne Buch (denn sie waren nicht ganz billig, um die 100 Dänische Kronen und für den Preis muss wenigstens ein kurzes Gespräch rausspringen…) - auf den Weg.
Nächster Halt war die Statsbiblioteket. Hier ließ ich mir einen temporären Ausweis ausstellen. Temporär deshalb, weil ich noch keine sogenannten CPR-Nummer habe und ohne diese kann man im Prinzip nichts in Dänemark machen. Na ja fast nichts. Temporäre Ausweise für die zentrale Bibliothek in Aarhus kriegt man jedenfalls, wenn man nett fragt. Die Bibliothek erstaunt vor allem wegen ihrer verhältnismäßigen Kleinheit. Der Hauptgrund dafür liegt in der Absenz eines großen Präsenzbestandes zu suchen. Wie mir erklärt wurde, müsste man Bücher bestellen und könnte diese dann am nächsten Tag abholen. Das Fehlen eines Präsenzbestandes, der es ermöglicht thematisch ähnlich einsortierte Literatur durch schlichtes Orten des gesuchten Buchs ähnliche Bücher zu finden, das Fehlen dieser Heuristik, hat vermutlich interessante Folgen. Oder: Was wäre eine Bibliothek von der Query her gedacht? Die Querylogy, oder Theorie der Abfragesysteme von @spro ist m.E. eigentlich die interessanteste Sache, die seine Beschäftigung mit dem Netz zu Tage brachte. Für mich ist die Theorie der Abfragesysteme nicht nur wegen ihrer Theorie interessant, sondern vor allem für ihre These, dass das Zeitalter des Archivs sich seinem Ende zuneigt. Im Hinblick auf die Bibliothek in Aarhus, die einen konkreten Fall dieses Wechsels darzustellen scheint, darf man nicht vergessen, dass eine Behauptung, das Zeitalter des Archivs sei vorbei, keineswegs für alle Akteure stimmen kann. Irgendjemand muss die Bücher anschaffen, die Bücher müssen irgendwie untergebracht werden, der ganze Apparat der Verfügbarhaltung für Abfragen ist nichts weniger als ein Archiv, allerdings in etwas anderer Form. Ich kenne mich zu wenig in der Geschichte von Bibliotheken allgemein und mit der in Aarhus im Speziellen aus, um beurteilen zu können, ob diese “Speichertechnologie” (man könnte wohl auch hier Plattform sagen…) in ihrer Struktur sich verändert hat. Vergleicht man diese moderne Bibliothek jedenfalls mit dem kleinen Antiquariat, dass seine Bücher nach einer anderen Art verfügbar hält, dann können wir leicht einsehen, dass diese Differenzen durchaus zu beschreiben wären. Dass ich überhaupt einsehen und charakterisieren konnte, was das Antiquariat für eine deutsche Bücherauswahl hat, liegt nicht zuletzt an der Art der Verfügbarhaltung. “Von der Query her gedacht” hieße also hier: beide Bücherspeichertechnologien, so unterschiedlich diese Akteur-Netzwerke auch konkret aussehen, mag man sich auch als Abfragen an die Datenbank der Realität vorstellen - und warum auch nicht, ich spreche ja auch ständig vom Relationalismus -, man würde aber wahrscheinlich am Ende zu etwas kommen, was man wohl gut und gerne als “gespeicherte Suche” bezeichnen könnte. Kurz: Eine Auswahlstrategie, d.h. eine Query, die in irgendeine Materialität überführt, oder besser noch: an sie gebunden wird, eine Auswahlstrategie also, die irgendwie stabilisiert wird, stellt in der Sprache der Querylogy eine gespeicherte Suche und damit eine Speichertechnologie dar.
Anschließend machte ich mich auf den Weg zum IKEA. Mit dem Bus. Das ging auch alles. IKEA nahm mir fast die ganze Energie und außerdem eine Menge Geld ab, wobei man realistischerweise sagen muss, dass letzteres - ich kaufte ein paar Aufbewahrungssachen und außerdem eine Decke und ein Kissen, jeweils vom billigsten; alles etwa 350 DKR - in einem anderen Laden weit schlimmer ausgefallen wäre. Aber dafür war ich ja auch bei IKEA. Auf der Hin- und Rückfahrt beschäftigte mich hauptsächlich die Frage, wie man die gleichen Probleme - ein Jahr in einem fremden Land und es fehlt so ziemlich an allen Gegenständen des täglichen Bedarfs und darüber hinaus an intellektuellem und kulturellem Austausch - umgegangen ist. Wäre ich vor hundert Jahren in Aarhus angekommen, was hätte mich erwartet? Natürlich kam ich zu keinem Ergebnis, weil ich die Stadt ja noch überhaupt nicht kenne. Klar ist jedenfalls, dass ich sehr viel abhängiger gewesen wäre und wahrscheinlich im Antiquariat nachgefragt hätte, woher diese interessante Zusammenstellung kritisch-theoretischer Bücher herkam. Ich hätte mich fragen hören können: “Gehört zu dieser Zusammenstellung eine Person? Taucht diese hier öfter auf?” Und dann fiel mir auf, dass ich das ja auch heute machen kann, selbst wenn ich keineswegs so intellektuell ausgehungert bin, wie ich es vielleicht vor hundert Jahren gewesen wäre, dem Internet sei dank.
Nichtsdestotrotz scheint es mir wichtig Kontakte zu knüpfen. Ich schrieb also auch gleich mal an Matthias Heymann vom Center for Science Studies, um mich vorzustellen und verschiedene Dinge bezüglich meines Besuchs von Kursen in den Science Studies abzuklären und bekam prompt Antwort, dass ich doch gern mal vorbeikommen könne. Wird gemacht. Als ich vorhin zur Tür reinkam, traf ich außerdem auf meinen Mitbewohner M., der eine Australische Frohnatur zu sein scheint und dementsprechend angenehm gestaltete sich unser erstes Gespräch. Auch er bleibt ein Jahr. Wir redeten über unsere Bleibe, Australien, Deutschland und das Bildungssystem in den jeweiligen Ländern. Er ist 20! Ich denke, wir werden klar kommen und hoffe gleichzeitig, dass er es mit mir, einem etwas eigenbrödlerischen, aber trotzdem freundlichen Nerd, wird aushalten können.
Morgen: Da die Bibliothek um 8 auf- aber schon um 17 Uhr zumacht, werde ich früh aufstehen und versuchen mir diesen Rhythmus gleich anzugewöhnen. Ohne Bibliotheksarbeit bin ich nämlich nichts. Ich werde mir Das Benjamin-Handbuch weiter zu Gemüte führen und auf die bestellte Tagebuchlektüre warten. Außerdem werde ich versuchen einzuschätzen, ob sich ein Dänisch-Kurs, den man hier kostenlos machen kann, lohnt, bzw. über dieser mir gut ins Konzept passt. Schließlich müssen eine Menge Kurse besucht und eine nicht unerhebliche Anzahl Hausarbeiten geschrieben werden. Vom darüber hinausgehenden Leseinteresse mal ganz abgesehen.
P.S.: Ach und jetzt habe ich gar nichts zu dem gesagt, womit ich mich am Wochenende hauptsächlich beschäftigt habe: Meiner Zettelkastenimplementation in DevonThink nämlich. Nun. Das wird nachgeliefert.