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2015-10-05-Nacht

Der Hinweis darauf, dass Zeit sensorisch kaum erfassbar, aber dann eben doch brachte mich auf den Gedanken, dass darin vielleicht mein Anspruch zu suchen wäre: Ich will immer beide Seiten. Etwa Schicksal: Die Profanität dessen in seiner vollen Gültigkeit anerkennen, wie auch die magische Großartigkeit von Koinzidenzien affirmieren. Eine Art Akzeptanz all dessen in mir, was widerstrebt. Aber nicht einfach, niemals einfach. Immer auch gleich eingebunden in die unerschöpfliche Herausforderung des eigenen Anspruchs, dem gerecht zu werden schon die Logik widerspricht. Aber es gibt dann doch Wege. Differenz Wirklichkeit und Möglichkeit etwa. Es braucht halt Zeit und Geduld. Es braucht Ausdauer und die Fähigkeit die Situation hervorzurufen, in der Geschichte in meinem Sinn zu schreiben möglich und schließlich wirklich wird.

Komplimente annehmen können heißt, dass man eine Qualität annehmen können muss, die man jetzt zumindest nicht mehr nur allein kennt. Die Kleinstbeschreibungen winziger Gesten, winziger Zusammenhänge, Wirkungen, die Verzaubern, die Erfahrbarkeit bedeuten. Diese Jedenfalls mitzuteilen und ihr Vorhandensein über das eigene Privatdispositiv hinaus eine Existenz haben können.

Es wäre hier Foucault zu zitieren. Habe seine Sachen aber nicht ausreichend genug zugänglich. Das wird mich noch mal in den Arsch beißen.


Ansonsten heute viel geschlafen, weil die letzte Nacht so kurz war. Das schlechte Gewissen ist enorm. Las aber immerhin ein paar Seiten. Schrieb ein paar Zettel voll. Kann ich irgendwann mal wieder von meinem Setup in Gänze berichten? Fragt sich wann. Dass ich nun nicht mehr nur ich bin heißt auch, dass Annahmen über die Produktivität in der theoretischen Arbeit vis-a-vis des Gemeinsamseins auf dem Prüfstand stehen. So etwa die Annahmen, dass man weniger produktiv sei. Stellt sich raus, dass der Zustand des Zusammenseins in gewisser Weise die lange lange vorhandene Gefühlslage des Sehnens als Stimulanz verringert. Man freut sich zusammen zu sein. Man freut sich dann seins machen zu können. Bleibt das?


Muss mich auf meine Beziehung zum Naturschutz hin befragen. Und nicht nur das. Muss mich fragen, was mir daran (un)wichtig ist. In der neuerlichen Selbsterklärung, die ein Auslandsaufenthalt so mit sich bringt, darauf gestoßen, dass ich eine Erhaltung von Natur im Hinblick auf die fast lächerliche Unwichtigkeit des Menschen in der Geschichte der “Natur” ich diese Anstrengungen allzu schnell als Hybris abtue. Die Erzählung jedenfalls trägt für mich persönlich nicht. Wenn es aber nicht um die Konservierung von Natur geht, oder jedenfalls keinesfalls im Hinblick auf einen theologisch aufgeladenen Paradieszustand, um was geht es dann? Meine Meinung: Es geht um die Sorge. Wer Sorgsam mit den Dingen umgehen kann, kann diesen Egozentrismus neutralisieren. Es taucht am Horizont die Möglichkeit der nicht-menschlichen Agency auf.[^1]


Schließlich: Muss mehr Geschichte lesen. Muss überhaupt noch viel mehr lesen! Fragt sich nur wann. Derzeit hauptsächlich anstelle der eigentlichen Pflichtlektüren.

[^1]: Bruno Latour, Politics of nature: how to bring the sciences into democracy, Cambridge, Mass (Harvard University Press) 2004.

2015-10-04-Nachmittag

Länger nichts im Journal vermerkt. Weil einfach zu wenig Zeit. Es ist alles gut. Die Normalisierung in unendlich schöner Form (d.h.: nicht mehr allein) meines Eigenbrödlertums in Aarhus gelingt immer besser. Gehe nicht mehr zu viel auf Parties, aber sehe trotzdem den Menschen, der mir wichtig ist und zufällig andere auch. Reicht doch. Lese wieder. Schreibe wieder. Wenig zwar, aber immerhin. Dank der Unterbrechung und der Notwendigkeit eines rationelleren Vorgehens wieder zurück zum gedruckten Buch. Denn da kann man Klebezettel reinkleben und Anstreichungen vornehmen. Geht auch mit Skim ziemlich gut und PDFs sind außerdem durchsuchbar. Bücher lenken aber weniger ab. Sind Single-Purpose-Devices. Und je mehr “Screens” man hat, wenn man Bücher mal so bezeichnen will, desto besser. Aus irgendwelchen Gründen liest sich dann halt doch besser auf Papier. Zwar ist die Einfachheit der Wiederbenutzung im Digitalen höher, aber es muss auch erstmal überhaupt gelesen werden. Und das ist wichtiger. Zumal die Teilung von Laptop zum Schreiben/Notieren von mittelfesten Notizen etwas anderes ist, als die Nutzbarmachung von Literatur. Gute Begründungen sind das alles noch nicht wirklich, aber der Widerstand etwas für später zu markieren, zu notieren und weiterzulesen scheint in dieser Konfiguration geringer. Vielleicht ist es auch die Möglichkeit des handschriftlichen Vermerks? Der Geteiltheit der Werkzeuge? Laptop ist Stift, Klebezettel, Buch und alles in einem. Jedenfalls haptisch/taktil. Die Aufgliederung in unterschiedliche “begreifbare” Gegenstände hilft. Kaufe also wieder Bücher aus Papier. Hoffe darauf, ein semipermanentes Bücherregal im Gästezimmer meiner Mutter einrichten zu dürfen. Damit wäre die Problematik der Mobilität, die mit Büchern einhergeht zumindest abgewendet. Aber wir werden sehen. Nachher stehen sie vermutlich doch wieder in meinem Zimmer. Darf über die Implikation dessen, dass ich nämlich im nächsten Sommer eine riesige Scheißtonne Bücher nach D bringen muss gar nicht genauer nachdenken.


Werde demnächst die Stadt Berlin rumzeigen dürfen und freue mich riesig. Ich schätze, ich bin nicht mehr allein. Es ist alles sehr ungewohnt. Es ist alles unendlich schön. Es erstickt mich fast. Wie ein ausgiebiger Lachkrampf. Kein Grund aufzuhören. Niemals nicht.


Habe eine Reihe von Aufsätzen, die ich gern schreiben will (siehe auch):

  • Marx, die Robinsonade und Minecraft (Tweet #1, #2)
  • Benutze Barthes mit App-Logos (Tweet #1)
  • Zur Lyrik von Frittenbude (Tweetfaden)
  • Plattform statt Medium (siehe hier)
  • Erotik der Geschichte (Tweetfaden)
  • Historiography in Action
  • Das Projekt des Ja! (Tweetfaden)
  • (kleine) Geschichte der Kritik
  • Interactive NonFiction (Twine) - Was ist ein_e Historiker_in?

Suche dafür jeweils Veröffentlichungsmöglichkeiten in Form von Blogs, o.Ä.. Beispiel für einen solchen Aufsatz wäre “Es wird Zeit für mehr als eine Zeit” im Blog zur Ausstellung “Wird Zeit” von @milch_honig und Ben Egger. Geld wäre toll. Aber unwahrscheinlich. Ein halbes Jahr Vorlaufszeit wäre toll und jeweils nötig.

Einzig den Marx-Text könnte ich bei Play The Past unterbringen.

Würde auch gerne einen Text für von mir erst kürzlich entdeckten PoMo-Blog “Non-Non” schreiben.


Podcast zum Journal wird jetzt auf Podigee betrieben. Habe pro Monat eine Stunde Zeit. Da aber Episode eins gleich Überlänge hatte, habe ich noch ~45 Minuten diesen Monat.


Aarhus bleibt bezüglich der Lehre schwierig. Habe die Anmeldung meiner Kurse nach ewigem Hin und Her wohl schadlos überstanden. Kann das hier gar nicht im Einzelnen ausbreiten. Werde jedenfalls den einen schon fallengelassenen Kurs nicht wieder aufnehmen. Werde stattdessen ein zweites Individualprojekt im CSS anstreben. Hoffentlich wird das genehmigt. Projekt wozu? Wohlmöglich zum Experimentbegriff in der rezenten Science-Studies-Literatur? Oder zur Physiologie im 19. Jahrhundert? Jedenfalls zu etwas, was ich kenne, was anschlussfähig ist. Fange nichts Neues mehr an. Zu gefährlich.


Habe aber weiter an dem BenjaminLatour-Aufsatz gearbeitet, d.h. herumgelesen. Warum bin ich so unsicher? Will ich das Ding nicht abschließen? Es ist in der Tat sehr spannend. Will aber die Chance auf mdl. Prüfung nach dem WiSe in der Literaturwissenschaft nutzen. Thema dort, wenn erlaubt: Latour. Auch hier: Nichts Neues mehr. BenjaminLatour jedenfalls erschließt sich mir noch nicht. Bzw. schon, aber es scheint mir so unendlich mehr möglich damit. Klar ist jedenfalls, dass ich zwei Punkte habe, an denen man ansetzen kann:

  1. Der Kunstwerkaufsatz als Akteur
  2. Mimesis, jeweils im Verständnis von Benjamin und Latour

Könnte über die Differenzen von Sprachtheorie Benjamin und Latour (verlängerter/transformierter de Saussure) und der Bedeutung der Transzendenz jeweils eine der wichtigsten Differenzen der Theorien herausarbeiten. Das Wesen der Sprache vs. die Artikulation.

Problem dieser Gegenüberstellung: Kann ich dann noch ANT machen? Wollte ich nicht den Kunstwerkaufsatz als Akteur in der Zeit zeigen? Geht beides? Wie? Alles unklar. Verstehe Benjamin immer besser, aber das Projekt entgleitet mir zusehends. Nächste Woche dann den Kommentarteil und insbesondere zur Rezeption vom KWA im KWA-Band der Kritischen Gesamtausgabe.

Vielleicht geht es so: Geschichte des Kunstwerkaufsatzes, Beschreibung im Modus der Historiografie der theoretischen Implikationen dessen was Benjamin sagt, aber alles aus der Warte der ANT. Geht, weil ich lokalisieren und relationalisieren kann. Kann dann zeigen, wie sich insbesondere KWA in der Veröffentlichung mit dem Photografie-Essay (1963) als wirkmächtig zeigte. Kann den Schlummer des KWA zeigen, Adornos Bedeutung, Scholem. Die baldige Popularität der Benjamin’schen Gedanken. Jedenfalls für D leicht(-ish) möglich. Englischsprachige und insbesondere französische Rezeption. Beginnende Popularität von Latour parallel zur weiter voranschreitenden Rezeption Benjamins und insbesondere des KWA. Entwicklung ANT, Entwicklung Projekt “Wir sind nie modern gewesen”, Horizont der Existenzweisen, in denen die Artikel zum Kunstwerk von Latour einzuordnen sind (das allein 30 Jahre!). Relationalisierung von Latours Beschäftigung und Benjamins Beschäftigung raumzeitlich. Problematisierung des Latour’schen Projekts der Nichtkritik bei gleichzeitiger anhaltender Kritik an den Humanities durch ihn. Lokalisierung des Grunds in der Ausrichtung auf “Science” wegen der Science Wars. Wurde hier nicht eine Existenzweise übersehen? Schließlich Öffnung der Perspektive für alienartigen Zugang zu den Humanities, die eine historiografische Beschreibung mit dem Instrumentarium der Moderne ermöglicht. Benjamin dabei (wie Latour, wenn auch aufgrund zeitlicher und methodologischer Nähe weniger) lediglicher Hersteller des epistemischen Produkts dieser Ja-Historiografie.

2015-08-13-Nacht

Spät schreibt er, aber er schreibt. Ich habe einen sehr produktiven Tag hinter mir, in dem ich vor allem weltliche Dinge ins Rollen brachte. Ich habe z.B. einen Stundenplan gebaut:

Die Quarters sind halbe Semester. Man schafft hier in Aarhus also vier Kurse in einem Jahr zu je ca. 5 ECTS. Zumindest auf dem Papier ein gutes System.

Habe die letzten Tage hauptsächlich in der Bibliothek verbracht und mit meinem Setup gerungen und bin jetzt wieder dort angelangt, wo ich einst loslief: Soll heißen ikiwiki. Aber sehr anders als zuvor. Ich will das bei Gelegenheit drüben bei EDIT vernünftig vorstellen.

Mir liegt das frühe Aufstehen erstaunlicherweise. Heute auch wieder. Ich stehe gegen 7 auf, mache mir Frühstück und Stullen für den Tag und mache mich auf den Weg. Ich bin selten nach 09:30 Uhr in der Bib. Zurzeit laufe ich noch die 30 bis 40 Minuten bis dorthin. Aber ich versuche mir ein Fahrrad zu organisieren. Laut meinem Buddy N. ist Fahrradfahren auch im Winter kein Problem.

Morgen gehe ich endlich zum Barbier und hoffe inständig, dass ich danach nicht weinen muss. Mit Barber’s in Berlin war ich immer so glücklich, hoffen wir, dass Aarhus Barber ebenfalls gut sein wird.

Ich habe außerdem meine Rückfahrt - mein Opa wird 80 und ich werde ein verlängertes Wochenende in Berlin sein - nach Berlin organisiert und bin jetzt stolzer Besitzer einer Bahncard 25 (denn für Auslandsfahrten kriegt man eh nur 25 Prozent…). Die finanzielle Lage ist dank der ersten Erasmusrate fürs Erste auch stabil, wenn auch - wie eigentlich immer in meinem Falle - prekär. Ich lebe mich so langsam ein. Ich weiß, wo ich Dinge einkaufen kann, wenn auch noch nicht alles, mir fehlt noch Zugang zu vegetarischen Produkten. Ich kann mich so langsam orientieren und die erste übermächtige Unsicherheit der Fremde ist auch überwunden wie es scheint. Damit einhergehend auch ein bisschen der Zauber. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass Dänemark zwar Fremde ist, aber in dieser Fremde viel liegt, was sich aus historischen Gründen mit meiner heimischen Umgebung verbinden lässt, es gibt hier nämlich ein bisschen deutsche Kultur dank der deutschen Minderheit.

Facebook ist mir bei der Orientierung und der Organisation der Dinge hier vor Ort eine große Hilfe. Es gibt viele Gruppen, die sich als nützlich und hilfreich erweisen, selbst wenn ich so gut wie nichts beizutragen habe.

Ich fühle mich, auch das sei zugegeben, noch etwas orientierungs- und ziellos. Ich organisiere, arbeite, schreibe und lese zwar den ganzen Tag, aber es scheint nur sehr schwerfällig voran zu gehen. Alles für das Leben hier muss mühsam recherchiert und dann durchgeführt werden, was mich vom Lesen und Schreiben abhält. Das gefällt mir nicht. Sollte ich einfach lesen und schreiben, bis das Leben an die äußere Schädeldecke klopft? Klopft es vielleicht schon und deswegen fühle ich mich wie in so einer Zwischenwelt? Zwischen lesen und schreiben und der Organisation des Lebens hier, die nicht gerade wenig Zeit in Anspruch nimmt, fällt es schwer zu entscheiden auf was ich mein ganzes Gewicht legen kann. Da es noch nicht losgeht mit dem Studieren, kann ich noch nicht absehen, wie realistisch meine Hausarbeitenpläne sind. Und sollte ich mir nicht auch die Stadt ansehen? Und dänisch lernen? Einen Sportkurs besuchen? Und natürlich: Leute kennenlernen? Letzteres passiert ohnehin, daran habe ich keinen Zweifel.

Kurz: Es geht voran, auch wenn die Organisation der Dinge viel Zeit und Energie in Anspruch nimmt und ich außerdem nicht so viel Zeit mit lesen und schreiben verbringen kann, wie ich gerne wollen würde. Hinzu kommt, dass die nähere Zukunft bezüglich meiner verfügbaren Zeit hier in Aarhus ungewiss ist und es mir daher schwer fällt eine gewisse Ignoranz - die fürs unablässige Lesen und Schreiben nötig ist - gegenüber dem weltlichen Geschehen um mich herum vor mir selbst schwer verteidigen kann. Wenn ich mich jetzt bis zu den Ohren in die Geschichte Walter Benjamins stürze und dann feststelle, dass ich ab nächster Woche für nichts Zeit habe, außer den Kursen an der Uni, was habe ich dann gekonnt? Andererseits: Spielt das eine Rolle, wenn ich alles in mein neues Zettelkastensystem einpflege?

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