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Thursday, July 9, 2015

2015-07-09-Abend

Arbeitstitel: Twitter als Beispiel für die Definition und Unumgehbarkeit von Plattformen

Twitter bietet verschiedene Möglichkeiten kurze Texte, die Links enthalten können, zu assoziieren. Das geschieht dabei nicht allein, sondern im Verbund mit anderen Akteuren. Man kann mit Fremden Tweets etwas tun, was man mit eigenen Tweets nicht kann: Man kann sie Retweeten. Was man außerdem nicht kann: Fremde Tweets mit fremden assoziieren, ohne, dass man einen eigenen Tweet dazu verwendet. Diese Begrenzung der Möglichkeit der Assoziation macht das Schreiben von eigenen Tweets an einigen Stellen unumgänglich. Um rein Assoziativ - d.h. hier: ohne das Hinzufügen eines eigenen Tweets - zu arbeiten, muss man auf externe Tools wie Storify zurückgreifen, wobei aber erstens jede Storify-Linie selbst äquivalent zu einem längeren Tweet gesehen werden könnte und zweites eine Einbindung in Twitter dann auch wieder einen Tweet erforderlich macht. Insofern lässt sich eine reine Assoziation, die nicht eigene Tweets enthält, nicht mit Twitter außer von Twitter selbst verwirklichen. Das “Aneinanderhängen” von fremden Tweets geschieht damit notwendig immer im Modus des_der Nutzer_in, die sich vom Modus der Plattform unterscheidet. In ähnlicher Weise verhält es sich auch mit den Nutzenden selbst. Auch sie können einander folgen, entfolgen, usw. Durch Muting, Blocking und das privat Schalten des eigenen Profils, sind die Möglichkeiten der Assoziation unter Nutzenden ebenfalls begrenzt, wobei diese Begrenzung auch wieder nur im Nutzungsmodus, nicht aber im Plattformmodus existiert. Bemerkenswert ist, dass es sehr schwer fällt sich mehr als eine_n Berechtigte_n für den Plattformmodus vorzustellen.

Twitter ist eine Mikroblogging-Plattform. Das heißt, dass alle Nutzer_innen in ihrem Profil ihre geschriebenen Tweets nicht etwa in beliebiger Art und Weise (Reihenfolge, Hierarchie, usw.) anordnen können, sondern die Veröffentlichung von Tweets eine durch die Plattform festgelegte Ordnung hat. Tweets, eingedenk der oben angegebenen Möglichkeiten, erscheinen daher, wie man es von Blogs gewohnt ist, in umgekehrt chronologischer Reihenfolge im eigenen Profil. Dieser Ordnung konnte ebenfalls nur im Plattformmodus festgelegt werden. Die Mikroblogs verschiedener User schließlich lassen sich in einer sogenannten Timeline anzeigen, wobei es eine hauptsächliche Timeline gibt und daneben noch teilbare bzw. private Timelines, die Listen. All diese Auswahlen sind nur auf der Ebene der Plattform, d.h. nur im Plattformmodus treffbar.

Sieht man die Plattform als letztgültige Autorität über sich selbst an, dann wird deutlich, dass bestimmte Entscheidungen an einen Akteur abgegeben wurden. Dieser eine Akteur legt für alle User die Realität der Plattform “Twitter” fest, in dem er diese Entscheidungen an Stelle der User trifft. Wir haben es hier also mit einer Frage der Übertragung von Handlungsmacht zu tun, die zur Strukturierung von Realität führt. Twitter ist ein Angebot neben vielen anderen. Auch diese Angebote strukturieren für ihre User den Teil der Realität, den sie besetzt haben. Und auch bei den Angeboten gibt es eine gut auszumachende Unterscheidung zwischen Nutzungsmodus und Plattformmodus. Auch für das Web selbst kann diese Unterscheidung leicht eingesehen werden: Es ist jemand, der nicht ich bin, der bestimmt was ich mit dem Netz anfange, der für mich entscheidet. Analog läuft das für das Internet, für den Rechner und die Hardware in ihm. Für die WG, das Zimmer und die Wohnung in der ich wohne. Für die Konstruktion namens U-Bahn, mit der ich meinen Weg, der auch nicht querfeldein, sondern auf Straßen und über Treppen stattfindet, die andere geplant, entworfen und schließlich gebaut haben, zur Uni und zurück zurücklege. Auch der Staat in dem ich lebe kann auf diese Weise verstanden werden. All diesen Betrachtungen ist gemein, dass es stets ein anderer Akteur ist, der die Realität strukturiert, in der ich lebe.

Wie ich anfangs sagte: “Bemerkenswert ist, dass es sehr schwer fällt sich mehr als eine_n Berechtigte_n für den Plattformmodus vorzustellen.” Wenn dem so ist und wir außerdem diese Differenz des User- zum Plattformmodus auf sehr viel in unserer Welt übertragen können, dann folgt daraus zunächst, dass man sich den Akteur, der auf den Plattformmodus Zugriff hat sehr genau anschauen muss und zweitens wirft das die Frage auf, wie diese “eindeutige” Delegation von Handlungsmacht ausgehandelt wurde.

Der Akteur Twitter ist bei näherem Hinsehen kein einzelner Akteur, sondern ein profitorientiertes Unternehmen. Es besteht aus vielen verschiedenen Akteuren, die verschiedene Rollen übernehmen und einander verschiedentlich Handlungsmacht übertragen haben, was bedeutet, dass auch hier jeweils ein Unterschied zwischen Nutzung und Plattform existiert. Manche dieser Plattformen werden von Akteuren innerhalb des Unternehmens bestimmt (z.B. Twitter Bootstrap), andere liegen außerhalb des Unternehmens (z.B. W3 Consortium) und nehmen anderen Akteuren, die diese oder jene Plattform nutzen, die Möglichkeit zur Strukturierung von Realität, aber auch die Nötigkeit von Entscheidungen ab. Trotzdem bleiben die Möglichkeiten der Akteure, die den Akteur “Twitter” ergeben nicht vollends begrenzt, wie auch User der Twitter-Plattform im Rahmen der durch Twitter gemachten Vorgaben nicht vollends begrenzt sind. Hinzu kommt, dass Plattformen nicht ausschließlich als Einschränkungen verstanden werden können. Das führt uns zur zweiten Frage.

Ein Tweet konnte maximal 140 Zeichen fassen. Unter den möglichen Zeichen, die ein Tweet enthalten konnte, war auch “#”. Ein User schlug vor in Reminiszenz an IRC (eine andere Plattform) künftig Hashtags zu verwenden um damit Tweets unabhängig von ihrem chronologischen Auftauchen und der direkten Assoziation durch einen User gruppieren zu können. Über eine Suche ließen sich so diese Gruppierungen wiederfinden. Twitter hat Hashtags schließlich “kanonisiert” und seit einigen Jahren kann man mit einem Klick auf den Hashtag im Tweet selbst auf andere Tweets stoßen, die ebenfalls diesen Tag tragen. Was ist hier passiert? Ein User erfand etwas, dass die Plattform Twitter innovativ zu nutzen verstand und deshalb von anderen Usern genutzt wurde. Auf diese Weise wechselte dieser Nutzer für den Bereich der thematischen Kennzeichnung von Tweets in den Plattformmodus. Er legte den Standard fest. Dieser Standard wurde von Twitter dann schließlich implementiert, womit Hashtags zur Realität Twitters in der Implementation Twitters wurden, was auch bedeutet, dass der User im Plattformmodus wieder zum User wurde. Sollte er je eine Änderung des Standards vorschlagen, ist die Veränderung genauso unwahrscheinlich wie die Annahme dieser Idee durch die User in erster Instanz, genau genommen sogar unwahrscheinlicher, weil dieser Teil der Realität Twitters ja schon strukturiert ist. In ähnlicher Form kann man sich auch die Geschichte der @-Reply und des Retweets denken (ein ganz anderes Beispiel wäre das Geld). Verallgemeinert lässt sich sagen: Neue Funktionalitäten von Plattformen sind häufig auf populäre und reproduzierbare Entscheidungen im Usermodus zurückzuführen. Wichtig ist, dass die populären Entscheidungen häufig die Plattform an sich verändern (Twitter kannte beispielsweise lange keine Timelines, keine @Reply, keine Retweets usw.). Gleichzeitig ist es aber so, dass populäre Entscheidungen stets nur im Plattformmodus implementiert werden können und es am Ende an diesem Platz immer nur eine Realität geben kann. Also wird auch hier die tatsächliche Implementation delegiert. Die Implementation von Fahrradwegen wäre ein Beispiel für eine andere Plattform.

Plattformen können außerdem in Konkurrenz stehen und mehr oder weniger erforderlich sein. Schaut man sich dafür das Unternehmen Twitter an, dann wird deutlich, dass dieses Unternehmen für die Konformität ihrer Plattform mit anderen Plattformen sorgen muss, auf die sie aufsetzt. Wenn Twitter eine App für iOS veröffentlichen will, dann muss es sich den Entscheidungen der iOS-Plattform gemäß verhalten. Dies kann sie auf unterschiedliche Art und Weise tun. Es gibt eine Reihe von Plattformen, die Twitter dabei unterstützen könnten. Diese Plattformen stellen immer ein Paket von Vorteilen und Nachteilen dar. Aus diesen Plattformen kann der Akteur dann wiederum eine Plattform auswählen, die der Akteur nutzt, um eine andere Plattform erfolgreich zu nutzen. Die für Twitter vielleicht wichtigste Plattform ist der Markt für soziale Medien, weil auf diesem Markt Twitter sein Geld verdient. Dieser Markt für soziale Medien ist ein spezieller Werbemarkt. Beides sind Plattformen: Der Markt für soziale Medien ist eine Plattform, die auf die Plattform des Werbemarktes aufbaut. Auf diesen Plattformen buhlen viele Plattformen um die Entscheidung von Usern. Und das ist der entscheidende Zusammenhang.

Plattformen wollen uns, wie gesagt, Entscheidungen abnehmen. Sie tun dies um anderen Plattformen gerecht zu werden, weil sie auf diese Weise einen Teil der Realität strukturieren dürfen. Man könnte auch sagen, dass sie auf diese Weise relevant und damit überhaupt erst real werden. Prinzipiell geht es darum, dass jene, die Plattformen betreiben dazu tendieren möglichst viele Entscheidungen an andere abzugeben, weil sie auf diese Weise in die Lage versetzt werden ihr Stückchen Realität stärker zu strukturieren. Sie machen sich damit unabdingbarer, sie werden dadurch bedeutsam.

Kurz: Es gibt eine Differenz zwischen der Nutzung einer Plattform und ihrer Definition, d.h. der Realität, die sie ausmachen kann. Weiterhin bauen Plattformen auf Plattformen auf und können in Konkurrenz zueinander stehen. Plattformbetreiber_innen tendieren dazu möglichst viele Entscheidungen an andere zu delegieren um ihr Stück Realität stärker zu strukturieren und damit unumgehbarer zu machen.

2015-07-09-Mittag

(Email-Antwort auf eine Frage, was vom Masterstudiengang “Geschichte und Kultur der Wissenschaft und Technik der TU Berlin zu halten sei, wenn man sich für Wissenschaftsgeschichte interessiert. Hier in leicht veränderter Form.)

Der Master GKWT ist ein interessanter Studiengang. Man studiert dabei in drei Fachgebieten zugleich, das heißt, neben Wissenschaftsgeschichte, wirst du dich auch mit Technikgeschichte und dem Feld “Kulturen des Wissens”, was von der Literaturwissenschaft bespielt wird, beschäftigen. Diese Dreiteilung muss man ernst nehmen, denn alle Fachgebiete nehmen sich ernst und haben jeweils eigene Vorstellungen. Es sind eben eigene Fachgebiete. Und dort gelten jeweils etwas andere Regeln, andere Zielsetzungen und es wird ein etwas anderer Umgang gepflegt. Für uns Studis bedeutet das weiterhin, dass wir, selbst wenn wir einen Schwerpunkt haben (bei dir scheint es grob “Wissenschaftsgeschichte” zu sein), die zwei anderen Gebiete, wenn auch weniger intensiv, mitstudiert werden müssen. Dabei gefällt vielen bei uns gerade der literaturwissenschaftliche Teil, der eigentlich eher ein kultur- oder medienwissenschaftlicher bzw. -historischer Teil ist, nicht. Da du aber von der HU kommst und zumindest das Vorurteil lautet, dass man dort mit diesen Dingen keine Probleme hat, trifft das vielleicht auch auf dich zu. Eine große Herausforderung in unserem Studium ist es, nicht nur Inselwissen anzuhäufen, sondern tatsächlich alle Fächer gemeinsam zu studieren. Ich habe zum Zusammenhang der Fachgebiete übrigens hier mal eine Notiz veröffentlicht: “Die Verbindung von Literaturwissenschaft, Wissenschafts- und Technikgeschichte”

Was gefällt mir gut?

Unser Feld ist klein und verhältnismäßig offen. Der Kontakt zu den Lehrenden relativ persönlich und der Druck auf uns Studis ist moderat bis nichtexistent. Das heißt, wir können uns (in angemessenem Rahmen) frei entfalten. Richtig “Bildung” betreiben und so. ;) Ich mag auch meine Mitstudis. Das STS-Feld, wenn man es hier mal so fassen will, ist immer noch ein Orchideenfach und dementsprechend einzigartig sind die Leute, auf die man im Rahmen des Masters trifft. Viele haben vorher etwas anderes studiert (ich z.B. Informatik) und bringen daher unterschiedlichstes Vorwissen mit in die Diskussionen. Was Seminare meistens spannend macht.

Was gefällt mir nicht so gut?

Einige Vorteile sind auch Nachteile. So gut wie niemand schließt das Studium in Regelstudienzeit ab, weil manchmal ein bisschen extrinsische Motivation fehlt. Geld ist knapp und damit die infrastrukturelle Ausstattung der Fachgebiete nicht sehr üppig. Die Lehre ist, wenn auch solide, leider nicht sehr innovativ. Zu mehr oder weniger neuen Themen, sagen wir z.B. zu den “Digital Humanities”, wird man hier kaum etwas hören. Das Problem des Inselwissens habe ich oben ja schon angedeutet.

Tuesday, July 7, 2015

2015-07-07-Nachmittag

”This inquiry thus does not consist simply in highlighting the modes but also in identifying for each one the inflections that come up throughout what it would be appropriate to call their ontological history— with apologies to the real historians. Ivan Illich called these moments malign inversions, taking as examples the threshold above which expen- ditures on health, useful up to that point, cause more illnesses than they cure, or the moment when, by dint of multiplying automobiles, we end up, on average, going more slowly than on foot. Each contrast is like a pharmakon that slowly builds up: over the long run, and at high doses, the remedy becomes a poison. We can never avoid all poisons, but we could balance out certain of their effects by carefully administered counter- poisons. There would then be a whole system of dosages and dietary advice, a whole pharmacopeia of modes of existence with which we would have to familiarize ourselves in order to avoid speaking too harshly about category mistakes—while running the risk of being mistaken about the moments when these errors become truly toxic.” — Bruno Latour, An inquiry into modes of existence: an anthropology of the moderns, Cambridge, Massachusetts (Harvard University Press) 2013, S. 261

Und da haben wir also das, was ich versucht habe auf der Ebene der Akteure zu fassen (“toxische Akteure”) auf der Ebene der Existenzweisen. Sehr schön.

Schwierig an dieser Variante ist vor allem aber folgendes: Selbst innerhalb von Existenzweisen kann es zu Problemen kommen. Keine der Existenzweisen ist in sich konfliktfrei oder überraschungslos. Und auch das ließe sich mit toxischen Akteuren erfassen. D.h.: Existenzweise vs. Existenzweise ist eine Art der Toxizität, die verdeutlicht, wie Konflikte zwischen den “Modes of Existence” diplomatisch vermieden werden können, wie gute Rhetorik zustande kommt.

Aber das ist auf der Ebene der Erfassung schwierig zu klären. Wenn ich Akteur-Netzwerke nachzeichne, dann weiß ich noch nicht, welcher Existenzweise dieses Netzwerk zugehörig ist. Und Konflikte tauchen aber schon hier auf. Ich sehe ja schon früh, dass ein Konflikt besteht (Akteur A artikuliert x, Akteur B artikuliert y), ohne dass es um die Art der Assoziation überhaupt schon geht. Und hier kann man feststellen, dass in einem Versuchsaufbau ein Akteur sich toxisch verhält. Selbst wenn mir noch nicht klar ist warum. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es aufgrund der verschiedenen Existenzweise geschieht und dazwischen besser vermittelt werden muss. Aber es kann genauso gut innerhalb einer Existenzweise dazu kommen. Denn es ist ja so, dass es immer noch um Netzwerke geht und es hier also eine Anzahl von Akteuren gibt, die miteinander über Assoziationen in Koexistenz treten und sich dabei verschiedentlich aufeinander beziehen.

Kurz gesagt: Ich bin mir nicht mal sicher, ob es nicht besser wäre die Toxizität nicht ohnehin auf dem Niveau des Akteurs anzusiedeln, anstatt auf der Ebene der Existenzweise. Es scheint mir aber wichtig, wenigstens vorübergehend von zwei Toxizitäten zu sprechen.

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