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2015-07-04-Nachmittag

”Transforming a haphazard trove of research material into an accessible, searchable and well-organised resource requires a set of skills that I don’t remember being formally taught as a history student.”

”In The Historian’s Craft Marc Bloch noted that ‘one of the most difficult tasks of the historian is that of assembling those documents which he considers necessary… He could hardly succeed without the help of various guides: archival or library catalogues, museum indexes, and bibliographies of every kind’. This is of course absolutely true. But once the material is assembled, it remains in many cases a veiled mystery what historians actually do with it. We don’t tend to write about that part – it can be messy, personal, and sometimes quite convoluted!”

Eureka Henrich artikuliert in ihrem Artikel “Sorting the stuff: how do historians organise their research material?” einige wichtige Probleme, die ich kurz so charakterisieren würde:

  • Wie macht man Daten nutzbar ? Und zwar so nutzbar, dass man über sie etwas sagen kann? Dieses Problem ist insbesondere in der Geschichtswissenschaft gegeben, wo es eine große Anzahl von relevanten Quellen (primäre und sekundäre) gibt, aus denen man auswählt und die in eine kohärente Form gebracht werden müssen. Und was muss man konkret dafür tun, um die Nutzbarkeit der Auswahl zu gewährleisten? Es scheint mir hier eine riesige Lücke in der Ausbildung und im Diskurs von Historiker_innen zu geben.
  • Als jemand, der sich für die Wissenschaftsgeschichte der Geisteswissenschaften interessiert, stellt sich außerdem die Herausforderung, wie man an diesen blinden Fleck in der Selbstbetrachtung dieser Community kommen kann. Wie findet man heraus, wie z.B. Walter Benjamin oder Thomas Kuhn gearbeitet hat? Was haben diese Leute tatsächlich getan um den Kunstwerkaufsatz oder Structure zu produzieren? Science Studies im Bereich der Geisteswissenschaften zu betreiben ist schon auf dieser ganz praktischen Ebene ein schwieriges, kaum versuchtes, Unterfangen, weil bisher schlicht unklar ist, wie man an die nötigen Daten kommt. Gleichzeitig wird deutlich, dass man auch Historiker_innen, so wie es Latour einst für die Laborwissenschaften tat, in ihre Werkstatt begleiten muss, wenn man herausfinden will, wie sie in der Praxis arbeiten (und hier kündigt sich eine spannende Aufgabe für meine Zeit nach dem Master an).

Beides habe ich versucht in meinem Vortrag “How the fuck? Or, an Excuse to Talk About Historiography” und hier insbesondere im Hinblick auf die Digital Humanities anzusprechen.

2015-06-30-Abend

Noch so ein “ein weiteres Problem ist ja auch…”-Text. Ich sprach heute auf dem Flur vor dem Büro meines Profs für Wissenschaftsgeschichte mit einem Mathematiker, der sich für die Geschichte der Mathematik interessiert und daher im Laufe der Semester ein Gast in Seminaren war. Er erzählte mir, dass er schon bald seinen Master abschlösse und er dafür nun schon bald mit der Masterarbeit begänne. Und ich erzählte ihm vom anstehenden Auslandssemester und davon, dass ich vorhätte statt einer Masterarbeit ein “Masterprojekt” im Bereich der Digital Humanities anzugehen, wenn ich dazu die Möglichkeit erhielte und es sähe gar nicht mal so schlecht dafür aus. Er fand das befremdlich. Sei doch irgendein Stapel Papier etwas ganz anderes als irgendeine Webseite. Wenn man in 20 Jahren sagen könnte: “Schau hier, das ist meine Masterarbeit” und dann auf 80 oder 90 bedruckte Blätter verweisen könne… das hätte doch etwas. Mehr. Irgendwie. Wie genau sei natürlich schwierig zu sagen.

Ich hielt natürlich dagegen. Aber wie viel emotionaler Widerstand mir da entgegen kam, damit hab ich nicht gerechnet. Wie das überbrücken, das mildern, mindern? Gibt sicher viele, die so denken. Gerade in den Humanities! Ich kann ja schlecht 80 bis 90 Seiten schreiben und dann noch ein Digital-Humanities-Projekt bauen.

Unberuhigend auch die Problematik, dass mich Umtreibendes und wie es mich umtreibt zu ungewöhnlich ist. Bin vielleicht selbst toxischer Akteur. Schrieb das bei Twitter:

(Kontext: Tweets von @kathrinpassig über Andreas Belwe von der Veranstaltung mit dem Hashtag “#BildungDigital”(, die ich irgendwie nicht weiter kontextualisieren kann))

  • “Den Tweets nach zu urteilen, ist der Belwe das, was ich als einen “toxischen Akteur” bezeichnen würde. #BildungDigital” (q)
  • “= ein Akteur, der durch seine Assoziation mit anderen Akteuren zu einer Vergiftung des Netzwerks beiträgt und “neutralisiert” werden muss.” (q)
  • “Und für diese Neutralisation braucht es ein Antidot (in diesem Falle ein rhetorisches), was erstmal hergestellt werden muss.” (q)
  • “Anschließend kann der toxische Akteur so toxisch sein, wie er_sie_es will: Die Vergiftung kann reproduzierbar gestoppt werden.” (q)
  • “Weitere Beispiele für toxische Akteure: Evgeny Morozov, Richard Dawkins. Neutralisation muss von jedem Ensemble erneut hergestellt werden.” (q)
  • “(Siehe dazu auch, die etwas anders gelagerte Darstellung von @kusanowsky und seinen Experten: t.co)” (q)
  • “(Unterschiede: Ich spreche von Akteuren (menschlichen, nichtmenschlichen), jeder Akteur kann toxisch sein)” (q)

Vielleicht bin ich zu sehr Fremdkörper im System? Und muss neutralisiert werden? Oder wirken meine Irritationen produktiv auf den Versuchsaufbau unseres Instituts und die Institution der Humanities ein? Muss man sich ja fragen. Immer mal wieder und ständig. Dass ich vergift steht außer Frage. Infrage steht, ob ich von anderen ausgehalten werden kann.

2015-05-16-Nacht

Dass ausgerechnet der Ozean als Bild für meine Erkundung in der tiefen, dunklen und lebensfeindlichen Umgebung der Theorie an Halt gewinnt, hätte ich ja nicht gedacht. Metaphern sind Tools. So auch diese. Es ist daher andererseits auch nicht weiter verwunderlich. Mit zunehmender Tauchfahrt jedenfalls tauchen immer wildere, immer seltsamere Wesen - Sphären - auf, die im fahlen Licht meines U-Boots, das seinerseits meine Sphäre ist, unwirklich, fremd, unlogisch, gefährlich, also: zutiefst absonderlich erscheinen. An manchen dieser Wesenheiten fahre ich nur vorbei, andere nehme ich genauer in Augenschein, nehme Proben, versuche durch die dicken Bullaugen die Form dessen, was ich da sehe - zu sehen glaube - in eine Wirklichkeit zu übersetzen. Es ist ein mühevolles und zeitraubendes Unterfangen. Aber die Faszination besiegt wie so häufig die Trägheit. Und die Angst.


Die Heidegger-Biografie von Safranski ist in der Tat gut.[^3] Sie bringt interessante Dinge zu Tage, die in ihrer Selbstverständlichkeit selten so ausgesprochen werden und bei mir auch kaum diskutiert werden, weil ich mich so gut in ihnen gar nicht auskenne. Etwa eine konservative, religiöse und nationalistische Lebensweise kann für manche ein lebenswertes Zuhause abgeben. Nicht für mich. Aber die Möglichkeit besteht. Philosophiegeschichte und insbesondere das, was das Label des "deutschen Denkens" ausmacht ist mir zu großen Teilen unbekannt (Gleiches ließe sich auch für die deutsche Soziologie behaupten). Alles ab Kant bis wenigstens Heidegger ist mir nur schlagwortartig, fragmentarisch und oft genug nicht mal das, bekannt (und von davor brauchen wir gar nicht zu sprechen…). Nun war das bisher offenbar schlicht nicht nötig. Es gab auf dieser Ebene nichts zu verteidigen oder zu hinterfragen. Mein Wissen, das hauptsächlich der französischen Theorie und der englischsprachigen Historiografie und dabei insbesondere der historischen Epistemologie (wenn man hier Rheinberges Historiografie[^1] folgt…) entspringt, ist als Paradigma im Bereich der Wissenschafts- und Technikgeschichte so erklärungsmächtig, dass ein durchstoßen dieser Sphäre nicht nötig war. Nötig - jedenfalls für einen Großteil der Historiografie, die man so im Studium liest - ist es auch weiterhin nicht. Aber es ist interessant. Denn wärend ich ganz am Anfang noch ohne Ziel und vor allem auf der Suche nach Halt war, habe ich meine "Pocket of Order" gefunden.[^2] Dementsprechend stellt sich mir das Weitergehen, was ich zunehmend unternehme, als ein Projekt des Übersetzens dar. Vieles von dem was ich mir überlegt habe und aktuell überlege, kann beim Nachvollziehen anderer Argumente geschärft und überprüft werden. Es aktualisiert auch häufig den eigenen politischen Standpunkt und alles andere was an einem Leben so aktualisiert werden kann. Darin ist auch eine Verstärkung des eigenen Standpunkts zu sehen. Im Akt der Uebersetzung - und mein Begriff ist da immer noch sehr unausgegoren - ergeben sich dann nämlich die Einsichten. Man versucht mit dem was man da sieht etwas anzufangen, testet dieses und jenes damit aus und integriert es entweder in seinen eigenen Versuchsaufbau um eine irgendwie andere - bessere, schönere, stimmigere, aufregendere, umfassendere, etc. - Weltbeschreibung zu produzieren oder verwirft (d.h. hier: man benutzt es nicht; es heißt ausdrücklich nicht: das taugt gar nichts) es. Insofern ist das Projekt eine stetige Herausforderung an die eigene Sphäre bei gleichzeitiger Festigung derselben. Dass es dabei aber nicht nur um die Produktivität des eigenen Weltzugangs geht, ist klar. Ich will ja auch tatsächlich wissen, was in der Geschichte passiert ist. Nur war es im letzten Jahr und vielleicht sogar im Jahr davor so, dass ich zur Geschichte selbst eine art verschütettes Verhältnis hatte - wen wundert's wenn man auf der Suche nach einer Insel der Ordnung ist - und mein Interesse kehrt jetzt erst so langsam als Interesse der Geschichte von Theorien, als Geschichte der Wissenschaften und der Weltbeschreibungen zurück. Deswegen entferne ich mich auch von den Digital Humanities. Ich sagte es ja vor kurzem (siehe 2015-04-12-Nachmittag2):

"Erstaunlich wie lange es dauerte, ehe ich mir selbst eingestehen konnte, was ich in meinem Leben hauptsächlich machen will, machen kann. Lesen und Schreiben. Nicht programieren. Nicht Spiele. Lesen und Schreiben. Alles andere folgt."

Für mich ist der bessere Weg der übers Lesen und Schreiben. Dort bin ich zu Hause. So erschließe ich mir die Dinge. Das heißt nicht, dass die Digital Humanities nichts taugen, nur, dass ich dort unnötig Körner verbrennen würde, die besser ins Lesen und Schreiben zu stecken wären. Wurde mir heute im Gespräch mit einem Freund wieder deutlich, mit dem ich einst Digitale Medien studierte. Sagte, dass ich damals mein Studium abbrach, weil ich doch einer der schlechteren in unserer Gruppe war, was ich mit meinem Narzissmus nicht vereinbaren konnte und außerdem kein Coding Monkey werden wollte.

Und Coding Monkey wäre ich auch für Digital Humanities. Denn auch da wäre mir eine grundlegende Arbeit wahrscheinlich nicht möglich, wäre ich ganz anders angewiesen auf Hilfe und begäbe mich in Abhängigkeiten, die nur schwerlich vor mir selbst tragbar wären. Also bleibt es bei Text + X.

[^1]: Hans-Jörg Rheinberger, Historische Epistemologie zur Einführung, Hamburg (Junius) 2007.

[^2]: Bruno Latour, Science in Action. How to follow Scientists and engineers through society, Cambridge (Havard University Press) 1987, S. 257f.

[^3]: Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland: Heidegger und seine Zeit, 7. Aufl Aufl., Frankfurt am Main (Fischer-Taschenbuch-Verl) 2011 (Fischer 15157).

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