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2015-08-19-Mittag

War gerade eben beim Center for Science Studies, um mich mit den Gegebenheiten vertraut zu machen und mir ein paar Infos zu den angebotenen Kursen abzuholen. Was ich organisieren muss: Eine Zusage von den Media Studies (zu denen ich formal aus verschiedenen Erasmuskooperationskompatibilitätsgründen gehöre), dass ich in den Science Studies Kurse belege. Außerdem wurde ich auf das STS Center hingewiesen, dass ebenfalls für mich relevante Kurse anbieten könnte. Relevanz. Ich stellte mich zwei Kolleg_innen des CSS vor. Gar nicht so einfach aus der hohlen Hand. Aber es ging. Ich behauptete, dass ich mich für die ANT interessiere, fast alles von Latour gelesen hätte. Das sei meine Herangehensweise. Ich würde mich für die Geschichte der Humanities und der Theorie interessieren und darüber hinaus für die Geschichte der Botanik. Alles in allem liege mein Schwerpunkt in der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Des Weiteren sei ich an neuen und anderen Arten der Geschichtsvermittlung interessiert, wie sie die Digital Humanities versprechen. Es kam ganz gut an. Ist aber auch nicht ungefährlich, weil es nach riesigen Gebieten klingt, mit denen ich mich auseinandersetze. Ich bin außerdem auch gleich zum Kolloquium im CSS eingeladen worden, was mich sehr freut. Dummerweise habe ich es in meiner Aufregung versäumt, meinerseits nach den jeweiligen Schwerpunkten der Kolleg_innen zu fragen.


Die letzten Tage bestanden sonst hauptsächlich aus lesen und schreiben. Ich lernte Karl Mannheim über seinen Text “Die Bedeutung der Konkurrenz im Gebiete des Geistigen” kennen[^1] und kann das für meine eigene Arbeit sehr gut verwenden. Im Text arbeitet Mannheim eine Sozialgeschichte (oder jedenfalls ein dynamisches Modell) geistiger Strömungen aus, deren Antrieb in der Konkurrenz von Denkstilen besteht. Dabei befreit er die Konkurrenz aus der Sphäre der Ökonomie, um sie im Bereich der Geisteswissenschaften anwenden zu können. Nach Mannheim gibt es vier Phasen, nach denen sich die Konkurrenz auf die Geistesgeschichte (die “Auslegung des Seins”) auswirken würde:

  1. Konsens - dazu zählt der Fundus der Sprichworte, die für alle in einer Gesellschaft Gültigkeit hätten
  2. Monopolsituation - dazu zählt die Sonderstellung der christlichen Kirche bis zum Beginn der Moderne
  3. Atomisierung - mit dem Voranschreiten der Moderne komme es zu einer Vereinzelung der Positionen, die untereinander um die Vorherrschaft kämpfen, wobei eine absolute Vereinzelung niemals einträte
  4. Konzentration - Die Konkurrenz der vereinzelten Positionen, die einander nur noch am höchsten Maß (der Vernunft) messen lassen, verbünden sich zu Plattformen (i.S.v. politischen Plattformen, hier aber auf “Geistesströmungen” bezogen), ein Prozess der Polarisation setzt also ein, der die Gesamtheit der Positionen auf einige wenige Pole (Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus) eindampft.

Dabei ist wichtig, dass Mannheim für einen ontologischen Pluralismus plädiert, den er unter dem Namen “Relationismus” fasst. Demnach wäre die “öffentliche Auslegung des Seins” - eine Wendung aus Heideggers “Sein und Zeit” - von immanenter Bedeutung für die Entwicklung der Geistesgeschichte. Nämlich würden “nur bestimmten historisch-sozialen Bewußtseinsstrukturen bestimmte qualitative Eigenheiten am historisch lebendigen Objekte sich eröffnen” (S. 42, Hervorhebungen Mannheim). Diese historisch-sozialen Bewusstseinsstrukturen wiederum sind das was Mannheim “Denkstil” nennt.[^2]

Diese Denkstile sind also lokale Phänomene, die sich historisch-sozial verorten lassen müssten und miteinander in Konkurrenz stehen. Die Phasen oder Möglichkeiten, wie sich Konkurrenz auswirkt, finden sich in der Geschichte der Moderne (oder jener Geschichte, die zu ihr führt) wieder:

Die erste Phase - jene der Sprichwörter - wird nicht eindeutig einer historischen Epoche zugeteilt. Diese Phase komme in homogenen Gesellschaften zu Stande und würde sich aber in allen Gesellschaften finden lassen, denn sie stelle das alltägliche Denken da, den “Common Sense”.

Die zweite Phase - jene der monopolistischen Denkstilsituation - wird (als ein Beispiel) durch die mittelalterlich-kirchliche Weltauslegung charakterisiert. Die spezielle Situation, das nur wenige Gelehrte lesen und schreiben konnten, sorgte für ein geistliches Monopol.

Die dritte Phase - jene der Atomisierung - sei nach dem Fall der hegemonialen Weltinterpretationsmacht der Kirche gegeben. Plötzlich nahmen mehr und mehr Kreise aus verschiedenen sozialen Schichten, wobei die Möglichkeit zur Teilnahme am öffentlichen Diskurs von oben nach unten durchsickerte, an der “öffentlichen Auslegung des Seins” teil.

Die vierte Phase schließlich - jene der Polarisierung und Selektion - sei zur Gegenwart Mannheims gegeben. Die Atomisierung der Positionen führte zur Verschärfung von Argumenten, d.h. einer Polarisation, die ihrerseits als eine Schaffung von Plattformen angesehen werden kann. Bald sind Denkstile “liberalistisch”, “konservativistisch” oder “sozialistisch” und werden auf diese Weise verstanden. Das bringt uns schließlich zur Problematik der Überlieferung. Wie man sieht bringt Konkurrenz nicht nur Atomisierung, sondern auch Synthetisierung mit sich (dazu kommen große Syntheseversuche, wie jener von Hegel) und diese gehen in die Geistesgeschichte ein. Diese Synthesen, so sie denn erfolgreich sind, stellen dementsprechend die Selektion in der Geistesgeschichte dar, denn es sind die Motive, die beibehalten werden, die mehr oder weniger stabile Denkstile ausmachen.

Ein sehr schöner, sehr brauchbarer Text, der gerade für mein Projekt einer ANT in den Geisteswissenschaften nutzbar machen, auch wenn dafür ein paar Sachen angepasst werden müssen.[^3] Seine Konzeption des Denkstils, sein Relationalismus, die lokale Realität der einzelnen Denkstile, sein Plattformbegriff, all das und noch viel mehr, scheint mir gutes Material zu sein, um in meinem Projekt einer Erweiterung der Existenzweisen um einen Modus der Geisteswissenschaften ([GWN] auf deutsch, [HUM] auf Englisch) zu arbeiten.


Habe außerdem auch mal probiert, auf einer Google-Karte meine besuchten Orte einzuzeichnen. Ist vermutlich nicht ganz vollständig. Würde gerne auch die Fotos und die jeweiligen Journaleinträge verlinken - und dem steht eigentlich auch nichts entgegegn - wenn man vom Aufwand dafür absieht…

Ich war außerdem am Wochenende bei der VoKü und muss sagen, dass ich nicht nur Spaß hatte, sondern sehr gut aß und sogar noch für den nächsten Tag Essen hatte. Und das alles kostenlos! Wenn ich nicht so zurückhaltend gewesen wäre, wäre wahrscheinlich für vier oder fünf Tage Essen rausgesprungen. Tolle Sache das.

Sonst gibt es nicht sehr viel zu berichten. Ich lese und schreibe halt den ganzen Tag und arbeite mich so durch meine Lektüre. Ich genieße das fast ungestörte Arbeiten sehr und ich habe das Gefühl, dass ich bezüglich dessen gut Weg mache.

P.S.: Fotos liefere ich die Tage mal nach.


[^1]: Der Text wird in Safranskis Heidegger-Biografie erwähnt: Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland: Heidegger und seine Zeit, 7. Aufl Aufl., Frankfurt am Main (Fischer-Taschenbuch-Verl) 2011 (Fischer 15157), Pos. 4325 und hier die vollständige bibliogafische Angabe des o.g. Vortrags: Karl Mannheim, Die Bedeutung der Konkurrenz im Gebiete des Geistigen, in: Deutsche Gesellschaft für Soziologie (Hg.), Verhandlungen des 6. Deutschen Soziologentages vom 17. bis 19. September 1928 in Zürich: Vorträge und Diskussionen in der Hauptversammlung und in den Sitzungen der Untergruppen, Tübingen (Mohr Siebeck) 1929, www.ssoar.info.

[^2]: Zur Frage, ob und wenn ja was dieser Denkstil mit dem Denkstil von Ludwik Fleck zu tun hat vielleicht ein anderes Mal mehr.

[^3]: Mannheim spricht etwas vom Sozialen, von Gesellschaften, vom Geist (obwohl es gerade hierzu nach AIME etwas zu sagen gäbe…) und vielen anderen Begrifflichkeiten, die mit einem Akteur-Netzwerk-Zugriff gewissermaßen untransformiert nur schwerlich zusammengehen.

2015-08-14-Vormittag

Kaum schreibe ich gestern, dass ich es mit dem frühen Aufstehen gut hinbekäme, verschlafe ich den nächsten Tag. Macht aber auch nichts, heute bin ich ohnehin nur kurz in der Bibliothek, weil ich bereits 15:30 Uhr zum Barbier gehe. Die ganze Zeit dachte ich, dass mir mein gestriger Journaleintrag nicht gelungen sei. Er wirkte so abwesend und unausgegoren, fast überflüssig. Vielleicht hätte ich meine immer noch vorhandene Unsicherheit anders beschreiben sollen. Jedenfalls war das das Gefühl gestern Abend und heute morgen. Jetzt, da ich den Eintrag noch mal gelesen habe, ist der Eindruck aber wieder ein ganz anderer. Seltsam.

In der Kantine der Bib bekommt man jedenfalls Tee für vier Kronen. Man bekommt hier keine Käsesandwiches oder andere vegetarische Mahlzeiten/Snacks, die über die Salatbar hinausgehen. Das ist etwas problematisch, weil ich heute morgen ganz ohne Frühstück los bin, spät dran, wie ich war.

Jedenfalls werde ich heute versuchen einen vegetarischen Mittagstisch in Campusnähe aufzutreiben. Von Berlin bin ich da ja sehr verwöhnt: Es gibt so gut wie keinen Supermarkt ohne vegetarische Fleischersatzprodukte und in den Mensen und Caféterien, gibt es neben Fleisch und Fisch eigentlich immer mindestens eine vollwertige vegetarische Mahlzeit. Die Situation in Aarhus ist da etwas anders. Hier muss man sich aktiver um diesen Lebensstil bemühen, spezielle Läden aufsuchen, usw. Aber vielleicht ist das eine gute Lockerung für mich, wenn ich mal für etwas, was mir persönlich wichtig ist und dass nichts mit lesen und schreiben zu tun hat (zumindest nicht in erster Linie) strecken muss. Jedenfalls werde ich am Sonntag wohl eine vegetarische VoKü besuchen. Vielleicht lerne ich dann ja auch gleich ein paar nette Leute kennen.

paar Links:

P.S.: All diese Aussagen haben selbstredend vorfristigen Charakter. Diese Seite (siehe “Vegetarian Options”) macht den Eindruck, dass das Vegetariersein in Aarhus nicht wirklich Probleme macht.

P.P.S.: Diese Seite hingegen lässt wiederum einen gegenteiligen Eindruck entstehen. Vermutlich ist beides nicht ganz falsch.

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