2015-06-26-Abend
Schwierig mich zu konzentrieren. Aber ich will kurz diese Überlegung aufnehmen:
- “Wäre spannend: Spiele von itch.io statt von Steam, E-Books von Minimore statt von Amazon, Musik von Bandcamp statt von Spotify. Usw.” (q)
Das habe ich ähnlicher Form schön des Öfteren gedacht. Der Grund dafür ist nicht so sehr (aber auch ein bisschen), dass mir diese kleinere Orte, an denen man Medien beziehen kann, eigentlich immer besser gefallen, als die großen. Also im moralischen Sinne jetzt. Hinzu kommt, dass ich anders stimuliert werde, wenn ich dinge verkonsumiere, die weniger im Mainstream liegen und dann auch andere Dinge produziere und das scheint mir eine lohnenswerte Sache zu sein. Warum? Weil ich nicht ständig allzu Ähnliches produzieren will.
Im Hinblick auf mein Studium denke ich das auch öfters, wollte dazu gestern auch einen Tweet schreiben, ging aber nicht in der Kürze also jetzt hier:
Das Problem mit dem Privatdiskurs
Um erfolgreich und auf lohnenswerte Weise am wissenschaftlichen Austausch teilzunehmen, ist es wichtig, dass man möglichst differenzierte Beiträge produziert. Was “differenziert” in diesem Kontext heißt: Die Beiträge sollten (wobei deren Zugehörigkeit zu einem bestimmten Diskurs hier als vorausgesetzt gilt) möglichst breit die Möglichkeiten der jeweiligen Methodologie/Philosophie/des Turns/der Community usw. ausloten und das heißt, im Rahmen der Voraussetzungen der eigenen Community herausragend sein. Im Bereich der Science Studies hat das etwa Bruno Latour gemacht, mit dem Ergebnis, dass er das Scott-Programme, aus dem er am Anfang sehr ausgiebig schöpfte, weit hinter sich ließ und eine neue Soziologie erfand (alles etwas übertriebene Formulierungen…), die nicht nur innerhalb der Science Studies, sondern auch darüber hinaus eine gewisse Beachtung fand. Thomas Kuhn wäre ein anderer Fall. Es ließen sich sicherlich noch viele weitere Beispiele finden, aber schon intuitiv scheint das Gesagte zu stimmen: Je vollständiger man das eigene Feld kennt, je besser man die Regeln des eigenen Felds kennt, desto besser kann man mit oder gegen die eigene Community argumentieren. Der effektivste Weg das zu tun ist, sich mit den Voraussetzungen gut auszukennen und diese zu hinterfragen. Im Prinzip läuft im Bereich der Humanities so die “Turn-Produktion” ab.
Nun ist das aber nur eine Variante, der Produktion von differenzierten Texten (see what I’m doing here…?). Ein anderer Weg wäre sich nicht übermäßig im eigenen Feld auszukennen. Sondern sich von eher außerhalb liegenden Quellen inspirieren zu lassen.
Eigentlich kann man doch nur Interessantes produzieren, wenn man:
- Entweder alles kennt, was kanonisch zum eigenen Feld gehört
- Oder die hauptsächlichen Bewegungen kennt und zusätzlich noch Einflüsse hat, die nicht im Feld liegen
- Der Königsweg wäre, sich sowohl mit allem was zum Kanon gehört auszukennen, als auch Stimulanz jenseits vom eigenen Feld zu haben
Es gibt schon Gründe, warum Latour als neuer Hegel beschrieben wird.
P.S.: Notiz erst am nächsten Tag fertig geschrieben. Hier sei eingestanden, dass das noch sehr unausgegoren ist. Aber durchaus nicht uninteressant. Gerade die Begrifflichkeit “Privatdiskurs”.
2015-06-24-Abend
Bin voll im GTD-Fieber, oder - ich probiere eher voll im GTD-Fieber zu sein und mich gleichzeitig dabei zu beobachten. Und das führt zu Ablenkung.
Dachte ich heute auch, als ich ins Hauptgebäude der TU Berlin ging und dort von den Sicherheitsvorkehrungen und ihren -vorkehrer_innen zum Besuch der Queen im Rahmen der “Queen’s Lecture” aufgehalten und irritiert worden bin. Latour hat schon recht, wenn er sagt, dass man die Einzelteile von Black Boxes am besten dann sehen kann, wenn die Box auseinanderfällt. Jedenfalls hilft es, wenn sie zumindest ein bisschen ihre Opazität verliert. Habe das auch versucht im Gespräch mit meinem Prof., als wir im Rahmen der Arbeit auf dem Weg zu einem Meeting waren zu verwenden. Ergebnis: Soziologie ist oft nur ein müdes Lächeln wert. Interessanter war da schon das, was ich noch halb bewusstlos über die Inforadio-App zum Staatsbesuch aufschnappte. Das ist natürlich auch alles naheliegend. Interessant ist Emperie. Theorien wollen sich alle selbst ausdenken und allein schon deswegen gibt es dafür kaum Konjunktur. Das kann man gern vergessen, wenn man Theorien und deren Entstehung selbst wissenschaftsgeschichtlich zu fassen sucht und die Beschäftigung auf diese Weise wieder Quellen werden. So ist es für mich im Falle Walter Benjamins (und Bruno Latours).
Dank Whatsapp, konnte ich Schnappschüsse von ihrem Besuch dann sogar auf Freund_innen auslagern (sozusagen) und so den Heimweg direkt nach dem Meeting antreten und mich, wie eingangs erwähnt, um GTD zu kümmern. Schritt 1: Capture.
Auch bemerkenswert: Mindmaps funktionieren, wenn man sie richtig einsetzt ganz ausgezeichnet (dazu, aber ein andermal mehr…). Auch ausgezeichnet: Ich kann erklären, wie man Tischtennis spielt. Vorhand, Rückhand, Oberschnitt und Unterschnitt. Topspin. Alles eine Frage der Vorstellung, wie rum der Ball dreht und wie er von der Kelle abspringt, abspringen soll. Dabei ist weniger erstaunlich, dass ich weiß, wie man Tischtennis spielt (und denkt), als dass die Verbalisierung für jemand anderes in mir ein neues, erweitertes Verständnis für mein Verständnis brachte. Es schmolz sich in gewisser Weise auf noch kompaktere Konzeptionierung ein und wurde als Wissensvorrat auch deswegen für mich im Verlauf der Erklärung (ca. 30 min) viel besser handhabbar. Es wurde klarer, von was ich eigentlich sprach, weil ich davon sprach. Das machte Spaß. Das will ich gern mehr und öfter. Deswegen wird man also Trainer… oder Lehrer…
2015-06-23-Nachmittag
(gibt es auch als Hörfassung)
Zurück vom Spaziergang am Nordufer entlang. Der regenerische Tag und meine Grundstimmung vermischt sich einerseits mit dem erdigen, feuchten Geruch und andererseits mit einer Hörfassung von Tucholskys Schloss Gripsholm. Und dann ist da noch Herrndorf, der sich hier irgendwo am Nordufer das Leben nahm. Meine Großeltern in Schweden. Ich wünsche mir, dass sie den Text kennen. Tucholsky über das Schloss: “Ich weiß nichts vom Stil dieses Schlosses – ich weiß nur: wenn ich mir eins baute, so eins baute ich mir.”
Ausnahmsweise mal schöne Melancholie. In mir klingt außerdem noch das Sentiment dieses Latour-Artikels in der Zeit nach:
”Latour ist Realist und Spieler genug, um zu sagen: Philosophische Fantasien seien es, die ihn umtreiben. Fiktion, Realität: Nie wisse man restlos eindeutig, was das sei.”
Sehe ich das auch so? Mir geht manchmal sicher die Distanziertheit verloren. Denn so wie sich Latour um die Moderne sorgt, sorge ich mich um Latour. Und das ist schon auch ein bisschen peinlich. Muss an ein Gespräch heute mit meiner Mutter denken. Über Geborgenheit. Kann man die einfordern? Für sich? Für andere? Und was ist das eigentlich? Mein Handyakku stirbt und plötzlich fehlt da der Tucholskyhumor, der die eigene Lächerlichkeit abmildert.
Ich gehe zurück und vorbei an den Häusern dieses winzigen Fleckchens Berlins, dass mir so lieb ist. Ich gehe vorbei an den Häusern am Nordufer, am Objekt der Wohnungsbaugenossenschaft 1892 vorbei - hier würde ich gern wohnen, denke ich - das gelbliche Weiß und die schönen Balkone mit den vielen Blumen. Und die Innenhöfe. Hier hatte ich mir vor einer Weile eine Wohnung angesehen. Und nun würde es schon bald nach Dänemark, nach Aarhus (man spricht es Århus), gehen. Für ein Jahr. Jedenfalls fast. Und dort dann im Prinzip das Gleiche, was ich hier mache. In Bibliotheken sitzen und lesen und schreiben und mit dem Internet leben. Und umherspazieren.
Würde ich danach zum Nordufer zurück dürfen? Könnte ich das bezahlen? Jedenfalls würde ich das wollen. Dieser winzige Streifen zwischen Ufer Café und Plötzensee bedeutet mir etwas und ich kann mich hier leben sehen. Ich sage leben und meine mehr als existieren. Irgendetwas liegt hier in der Luft, oder es ist die Anordnung der Häuser, vielleicht die Möglichkeit auf der anderen Seiten den Westhafen zu sehen. Vielleicht ist es die Erinnerung an das Gefängnis Plötzensee und seine düstere Vergangenheit, die mich Glücksgefühle, die ich hier empfinde, als geerdet und damit rechtmäßig anerkennen lässt.
Ich will eigentlich gar nicht weg. Und es ist schon allein deshalb gut, dass ich gehe. Denn dann kann wiederkommen.