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2015-06-28-Abend2

Vielleicht unter dem Eindruck eines Textes zur Fotografie stehend, muss ich mir hier noch mal Tucholskys Schloss Gripsholm zitieren - sogar die gleiche Stelle! - diesmal aber etwas vollständiger:

Es war ein strahlend heller Tag. Das Schloß, aus roten Ziegeln erbaut, stand leuchtend da, seine runden Kuppeln knallten in den blauen Himmel – dieses Bauwerk war dick, seigneural, eine bedächtige Festung. Bengtsson winkte dem Führer ab, Führer war er selber. Und wir gingen in das Schloß. Viele schöne Gemälde hingen da. Mir sagten sie nichts. Ich kann nicht sehen. Es gibt Augenmenschen, und es gibt Ohrenmenschen, ich kann nur hören. Eine Achtelschwingung im Ton einer Unterhaltung: das weiß ich noch nach vier Jahren. Ein Gemälde? Das ist bunt. Ich weiß nichts vom Stil dieses Schlosses – ich weiß nur: wenn ich mir eins baute, so eins baute ich mir.

So zitierte ich es auch meinen Großeltern, die mich daraufhin per Whatsapp - mein Opa wird 80 dieses Jahr! - aus Schweden direkt anriefen.

Das mit den Augen- und den Ohrenmenschen. Darüber denke ich viel nach. Gibt es dazu vielleicht auch Denk- und Fühlmenschen? Dann wäre ich nämlich so einer. Ich hab' sicherlich mehr Ohr als Auge, aber noch mehr habe ich Zugang zum inneren Ohr. Zur a-postiori-Maschine namens Hirn. Und zu meinem Herzen.

Das dachte ich gerade jedenfalls alles bei einem Tweet von @brutalhouse. Architektur, insbesondere der Brutalismus, ist außerdem ohne die Fotografie für mich schwerlich vorstellbar. Und dann gibt es da ja noch @mediumflow mit seinen Hinweisen auf die Sound Studies. Oder eben als Hörbücher (auch via @mediumflow). Und Architektur, auch das ist klar, auch auditiv erfahrbar. Raum ist Akteur. Aber eben auch anders herum. Der Klang von Architektur.

2015-06-23-Nachmittag

(gibt es auch als Hörfassung)

Zurück vom Spaziergang am Nordufer entlang. Der regenerische Tag und meine Grundstimmung vermischt sich einerseits mit dem erdigen, feuchten Geruch und andererseits mit einer Hörfassung von Tucholskys Schloss Gripsholm. Und dann ist da noch Herrndorf, der sich hier irgendwo am Nordufer das Leben nahm. Meine Großeltern in Schweden. Ich wünsche mir, dass sie den Text kennen. Tucholsky über das Schloss: “Ich weiß nichts vom Stil dieses Schlosses – ich weiß nur: wenn ich mir eins baute, so eins baute ich mir.”

Ausnahmsweise mal schöne Melancholie. In mir klingt außerdem noch das Sentiment dieses Latour-Artikels in der Zeit nach:

”Latour ist Realist und Spieler genug, um zu sagen: Philosophische Fantasien seien es, die ihn umtreiben. Fiktion, Realität: Nie wisse man restlos eindeutig, was das sei.”

Sehe ich das auch so? Mir geht manchmal sicher die Distanziertheit verloren. Denn so wie sich Latour um die Moderne sorgt, sorge ich mich um Latour. Und das ist schon auch ein bisschen peinlich. Muss an ein Gespräch heute mit meiner Mutter denken. Über Geborgenheit. Kann man die einfordern? Für sich? Für andere? Und was ist das eigentlich? Mein Handyakku stirbt und plötzlich fehlt da der Tucholskyhumor, der die eigene Lächerlichkeit abmildert.

Ich gehe zurück und vorbei an den Häusern dieses winzigen Fleckchens Berlins, dass mir so lieb ist. Ich gehe vorbei an den Häusern am Nordufer, am Objekt der Wohnungsbaugenossenschaft 1892 vorbei - hier würde ich gern wohnen, denke ich - das gelbliche Weiß und die schönen Balkone mit den vielen Blumen. Und die Innenhöfe. Hier hatte ich mir vor einer Weile eine Wohnung angesehen. Und nun würde es schon bald nach Dänemark, nach Aarhus (man spricht es Århus), gehen. Für ein Jahr. Jedenfalls fast. Und dort dann im Prinzip das Gleiche, was ich hier mache. In Bibliotheken sitzen und lesen und schreiben und mit dem Internet leben. Und umherspazieren.

Würde ich danach zum Nordufer zurück dürfen? Könnte ich das bezahlen? Jedenfalls würde ich das wollen. Dieser winzige Streifen zwischen Ufer Café und Plötzensee bedeutet mir etwas und ich kann mich hier leben sehen. Ich sage leben und meine mehr als existieren. Irgendetwas liegt hier in der Luft, oder es ist die Anordnung der Häuser, vielleicht die Möglichkeit auf der anderen Seiten den Westhafen zu sehen. Vielleicht ist es die Erinnerung an das Gefängnis Plötzensee und seine düstere Vergangenheit, die mich Glücksgefühle, die ich hier empfinde, als geerdet und damit rechtmäßig anerkennen lässt.

Ich will eigentlich gar nicht weg. Und es ist schon allein deshalb gut, dass ich gehe. Denn dann kann wiederkommen.

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