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2015-07-23-Abend

Die aktuelle Situation lässt sich als eine Mischung aus Einsicht und schlechtem Gewissen beschreiben. Einsicht: Ich weiß immer besser was zu tun ist. Schlechtes Gewissen: Ich mach’ es nicht ausreichend. Sehr gut funktioniert für mich allerdings der Zettelkasten. So gut, dass ich kaum noch zum Bloggen komme, weil einfach alles besser im Zettelkasten aufgehoben ist. Was mir auch aufgefallen ist: Wie sehr es bezüglich seiner eigenen Überlegungen wichtig ist, sich bewusst zu werden wo diese herkommen, weil es sehr gut möglich ist, dass die eigenen Überlegungen Ausdruck von anderen Dingen sind, die wiederum viel besser mit anderen Tools beschreibbar sind. Oder jedenfalls müssen diese Dinge dann auch mit einbezogen werden. Und so ist theoretisieren wohl auch immer Therapieren.

Bezüglich Aarhus - und es ist ja nicht so, als ob das nicht alles zusammengehört - sieht es soweit ganz gut aus, wenn man davon absieht, dass ich auch hier lethargisch bin. Mein ganzes Leben eine einzige Verzögerung bis zum Tod. Immerhin machte ich heute den Auslandsbafögantrag fertig. Sonst gibt es auf dieser Ebene nicht viel zu berichten, außer, dass ich jetzt langsam los will. Ich denke viel über Lethargie und Anfänge und Verzögerungen und Unterbrechungen nach. Und komme zu dem Ergebnis, dass das alles zusammengehört: Da jeder Neuanfang schwer fällt und jede Unterbrechung einen Neuanfang nötig macht - jedenfalls, wenn das was unterbrochen wird, wichtig ist - dann ist es am besten möglichst unterbrechungslos zu existieren. Deshalb will ich gern diese Zwischenzustand, in dem so viele unterschiedliche Dinge zu erledigen sind, hinter mir lassen. Oder genauer: Ich möchte, dass der Zustand nicht ist. “Glücklicherweise” werde ich dank der Realität die nächsten 14 Tage (ES SIND NUR NOCH 14 TAGE) also dafür sorgen müssen, dass sich dieser gewünschte Zustand einstellt. Tun will ich nichts. Aber ich will, das was durchs Tun möglich wird. Das Ziel ist das Ziel. Auszug, Übergabe der Arbeit. Das sind die letzten beiden Dinge.

Erfreulicherweise geht es mit dem Arbeiten, wenn ich nicht so genau hingucke, was ich da eigentlich arbeite. Eigentlich müsste ich mich mit Benjamin und Latour beschäftigen oder wenigstens die zwei offenen Fragen zur Historiografie und zur Lehre in der Wissenschafts- und Technikgeschichte beantworten, die zwischen mir und 12(!) ECTS-Punkten stehen.

Auch die Hausarbeit zum Kunstwerkaufsatz liegt, weil ich gerade an den Sphären herumlese und es ist wirklich ein Herumlesen, weil Sloterdijk durch seine historische Herleitung seiner Überlegungen so viele Dinge berührt, die mich berühren und mit denen ich mich nicht auskenne. Case in Point: Geistesgeschichte. Ähnlich wie Positivismus ein Wort, wie “der Teufel”. Ich werde bei so etwas ja immer hellhörig. Geistesgeschichte umformuliert, damit lässt sich sicher was machen. Mir ist auch bewusst geworden, wie bestimmte historische Konstellationen (“wissenschaftliche Revolution”, “Französische Revolution”, Industrialisierung, Imperialismus, Aufklärung, Ende 19. Jahrhundert, die zwei Weltkriege, Weimarer Zeit, usw.) Prüfsteine für neue historiografische Formen sind. Es wiederholt sich hier das, was Blumenberg für absolute Metaphern meint. Dass sie nicht abschließend beantwortbar sind. Es gibt in gewisser Weise keine “Lösung”. Es gibt nur die eine oder andere Art damit umzugehen. Und die relative Wichtigkeit der Prüfsteine oder Knotenpunkte, durch die die Geschichte fließen muss, informiert uns über den Entwurf, bzw. den Rahmen (als “Frame of Reference”). Eins ist jedenfalls klar: Diese Prüfsteine lokalisieren die Rahmung. Eine zu starke Bewertung etwa der deutschen Aufklärung, oder eine zu schwache Bewertung der Rolle Europas in der Geschichte lokalisiert Geschichte und schränkt ihren Gültigkeitsanspruch ein. Das wiederum trifft nur auf Geschichte zu, die mehr als Chronologie ist (wobei man sich hier streiten könnte - ist nicht auch Kalenderzeit eine westliche Erfindung? Und ist Chronologie je “nur” Chronologie?). Klar ist auch, dass sich diese Rahmungen in Beziehung bringen lassen und sich so ein Bild herausschält, dass unbesehen all dieser unterschiedlichen Ansätze doch zumindest diese Knotenpunkte gemeinsam zu haben scheint. Wie schafft man diese Knotenpunkte? Sind diese immer offensichtlich? Ergeben diese sich diskursiv? Es ist, wenn auch total offensichtlich, einigermaßen erstaunlich, dass sich die Geistesgeschichte, die Sozialgeschichte, die historische Anthropologie und diskursanalytische Ansätze erstaunlich treffsicher auf immer die gleichen Knotenpunkte (in der Historiografie des Westens) beziehen. Die Erklärungen sind anders. Die Relationen zwischen den Knotenpunkten sind anders. Aber die Punkte sind erstaunlich stabil!

Auswahl und Bewertung der Knotenpunkte und deren Verbindung steht immer in Relation zur Lokalisierung. Lokalisierung ergibt sich aus der Rahmung. All diese Relationen funktionieren in beide Richtungen. Könnte Dialektik sein. Aber ich denke darüber eher als Akteurs-Ensemble nach: Insofern ergibt sich die Spatialität und Temporalität einer Rahmung aus dem jeweiligen Versuchsaufbau. Wir können nämlich alle diese Begriffe als Akteure denken und auch leicht (mehr oder weniger) sehen, dass diese provisorische Identifikation von Must-Haves in historiografischen Versuchsaufbauen als epistemische Produkte Weltbeschreibungen nach sich ziehen, die auf Grund ähnlicher Aufbauten zwar ähnliche Produkte produzieren, aber selbst mit einem komplett geklonten Ensemble, würde sich Aufgrund von Emergenzeffekten notwendig immer ein bisschen etwas Anderes ergeben. Und doch kann man von Ähnlichkeit sprechen.

Interessant ist jetzt trotzdem der empirische Befund: Wie kommt das konkret zu Stande? Hält diese oberflächliche Beobachtung einem empirischen Forschungsprogramm stand? Das ist der entscheidende Test. Deswegen sind Instanzen auch von Bedeutung. Es müssen so genau wie möglich die jeweiligen Versuchsaufbaue nachvollzogen und affirmiert werden und dann muss man schauen, ob sich diese Ähnlichkeiten wirklich ergeben und wie diese Zustande kommen. Meine Vermutung ist, das sich erstens diese Versuchsaufbaue in ständigem Kontakt zueinander entwickelt haben und zweitens das vorliegende Quellenmaterial im wesentlichen endlich ist und drittens eins und zwei in einer Diskursivität zusammenfallen, d.h. Versuchsaufbaue und ihre Produkte ihrerseits irgendwann zu Quellen werden und vice versa (das ist sehr Foucault’ianisch), wobei Zeit hier als jene Qualität von Geschichte anzusehen wäre, die sich einstellt, wenn Akteure aufeinandertreffen. Hier muss man aber für eine bessere Trennschärfe den Unterschied Produktion und Konsumtion hinweisen. Denn “fühlt” sich je nach dem das zu Beschreibende anders an und es stellt sich auch anders dar. Entscheidend ist dabei, dass es um das noch nicht Fertige geht. Wichtig ist jetzt aber, dass sich das Gesagte im Sinne Latours auf alle beziehen soll. D.h. ich sage nicht das zählt nur für Kommunikation, oder den Diskurs, oder die Schrift, oder für Dinge, sondern es soll für alles gelten. D.h. obwohl Ziel dieser ganzen mehr oder weniger vorsichtigen Rahmung meinerseits hier eine bestimmte Arbeit ist, ist der Punkt der Arbeit die Möglichkeit der Affirmierung aller möglichen Rahmungen (terms and conditions apply) und das heißt: universelle Anwendbarkeit.

Glücklicherweise hat Bruno Latour ja schon ein großes Stück des Wegs mit den Existenzweisen zurückgelegt, so dass sich das hier beschriebene auch folgendermaßen ausdrücken lässt: Ziel ist das Auffinden einer vergessenen Existenzweise, nämlich die der Geisteswissenschaften selbst.

Ich bin selber nicht sehr glücklich mit der hier gegebenen Formulierung. Was sicher daran liegt, dass ich sie hier einfach so aus dem Ärmel schüttelte, aber es geht einfach darum diejenige Einstellung zu finden, nach der man die ANT auf die Geisteswissenschaften so anwenden kann, wie man es für alle anderen Existenzweisen kann. Und anschließend/gleichzeitig geht es darum die ANT für den Bereich der Geschichte der Geschichtsschreibung/Geisteswissenschaften (ich sprechen in Zukunft vielleicht einfach von Geistesgeschichte…) brauchbar zu machen (das ist sie in gewisser Weise ja schon, glaube ich jedenfalls), wofür eine Reformulierung historiografischer Allgemeinplätze nötig ist (das ist sehr produktiv).

Hrm. Habe Skrupel das so zu veröffentlichen. Zu viel Geschwurbel, zu wenig Wissen, zu schlecht formuliert. Aber es war ja nur ein Versuch. Und es ist ja nur ein Journaleintrag unter vielen.

2015-07-12-Nachmittag

Bin dabei für EDIT, aber auch für mich, etwas mehr Ordnung in meinen neuen Workflow zu bekommen. Dabei jetzt doch noch mal - auch wegen der Twitterkonversationen - mit dem Zettelkasten von Daniel Lüdecke angefangen, was sofort die Frage nach diesem Journal hier stellt. Wofür ist es dann noch da? Mein große Angst nach dem Wiki-Debakel (auch wenn das sicher ein zu hartes Wort ist) ist, dass ich statt meine Arbeit zu dokumentieren, dokumentiere, wie ich dokumentiere. Und das ist eben nicht meine Arbeit. Also werde ich wohl hier auch umstellen.

Außerdem stellt sich die Frage nach dem Ethos dieser wie auf der Flucht ständig eingeschlagenen Richtungsänderungen. Als wäre ich ein Gejagter - gejagt von was? Davon, dass es perfekt werden muss? Nun ja. Zumindest, dass es möglich sein muss das zu tun, was ich tun will. Und das ist halt hart und kann schnelles Einlenken erforderlich machen. Aber ist halt doof, weil sehr unwissenschaftlich, weil selbst für mich ja kaum artikulierbar, welche Gründe es gibt.

Auch im Hinblick auf meine eigenen Ansprüche an offenes wissenschaftliches Arbeiten. Denn ich will ja andere beim Entstehen schon dran teilhaben lassen, was ich hier tue. Gäbe es doch nur die Möglichkeit den Zettelkasten in navigierbarer Weise zu veröffentlichen… damit kommen wir dann auch gleich zum nächsten Problem: Die Beschäftigung mit Postprivatheit und daran anschließender Fragen für die Wissenschaft. Möglicherweise ist das etwas, was in der Latour’schen Sprechweise ein Kategorienfehler genannt wird[^1], oder jedenfalls scheint es mir mehr und mehr so, dass mein Wunsch offen mit der Verfasstheit dessen, was ich meine Theorieproduktion nenne, umzugehen, immer noch auf dem Wunsch beruht “straight talk” zu betreiben (“Double Click” oder [DC]).[^2] Und das geht halt sowieso nicht. Oder: Man könnte auch sagen, dass es schlicht nicht möglich ist, mit meinen beschränkten Mitteln alle über alles, was ich tue (die [NET]s)[^3] und den Grund dafür ([PRE])[^4] zu informieren, ohne mich selbst damit lahm zu legen.

Dementsprechend wäre es vielleicht sinnvoll so etwas wie eine “Privatsphäre”, wie ich sie mit Latours ANT/Existenzweisen (und Sloterdijks Sphärologie) neu formulieren wollen würde zu etablieren. Gar nicht mal, um damit etwas geheim zu halten - peinliche Gedanken in diesem Feld gibt es zwar, aber nicht mehr sehr viele, jedenfalls fühlt es sich im Augenblick nicht so an… - sondern um ein Ethos zu begründen, dass mir wissenschaftliches Arbeiten und die Beendigung des Studiums erlaubt und gleichzeitig neu und spannend bleibt.

In was für seltsame Problemlagen mich dieses Ethos manövriert hat…

Jedenfalls folgt aus all dem, dass vorerst immer noch nicht weiß, wie ich es mit dem Verhältnis Öffentlichkeit/Privatheit bezüglich meiner medialen Produktion halten soll, weil ich noch nicht absehen kann, wie gut oder schlecht für mich der Zettelkasten funktionieren wird. Im Augenblick scheint es in der Tat eine bemerkenswerte Technik zur Erzeugung von Emergenz zu sein. Wir werden sehen. Am Journal ändert sich vorerst vermutlich nur die Veröffentlichungsfrequenz. Ich will hier schon weiterhin gerne sehr regelmäßig veröffentlichen, aber wie die Posts aussehen und welche Qualität sie haben werden und von wo aus sie geschrieben werden (ich könnte mir vorstellen, dass ich ab und an ein paar Zettel aus dem Zettelkasten zu einem Post verwurste) ist noch unklar. Dafür muss sich das alles erstmal ein wenig mehr eingrooven. Diese Umstellung selbst betrifft dabei lediglich ein Teilaspekt meines Workflows.

Wenn man grob die Aspekte Archiv/Schreibbasis/(andere) Artikulationen (als die Schreibbasis) voneinander unterscheidet, dann habe ich meine Schreibbasis zweimal in kürzerer Zeit umgestellt: vom Wiki zum Blog und iA Writer und von dort zum Zettelkasten. Insofern verschiebt sich das Blog vielleicht nur weg von der Schreibbasis hin zu den Artikulationen.

[^1]: Bruno Latour, An inquiry into modes of existence: an anthropology of the moderns, Cambridge, Massachusetts (Harvard University Press) 2013, S. 48ff

[^2]: Bruno Latour, An inquiry into modes of existence: an anthropology of the moderns, Cambridge, Massachusetts (Harvard University Press) 2013, S. 93

[^3]: Bruno Latour, An inquiry into modes of existence: an anthropology of the moderns, Cambridge, Massachusetts (Harvard University Press) 2013, S. 33ff

[^4]: Bruno Latour, An inquiry into modes of existence: an anthropology of the moderns, Cambridge, Massachusetts (Harvard University Press) 2013, S. 62ff

2015-07-07-Nachmittag

”This inquiry thus does not consist simply in highlighting the modes but also in identifying for each one the inflections that come up throughout what it would be appropriate to call their ontological history— with apologies to the real historians. Ivan Illich called these moments malign inversions, taking as examples the threshold above which expen- ditures on health, useful up to that point, cause more illnesses than they cure, or the moment when, by dint of multiplying automobiles, we end up, on average, going more slowly than on foot. Each contrast is like a pharmakon that slowly builds up: over the long run, and at high doses, the remedy becomes a poison. We can never avoid all poisons, but we could balance out certain of their effects by carefully administered counter- poisons. There would then be a whole system of dosages and dietary advice, a whole pharmacopeia of modes of existence with which we would have to familiarize ourselves in order to avoid speaking too harshly about category mistakes—while running the risk of being mistaken about the moments when these errors become truly toxic.” — Bruno Latour, An inquiry into modes of existence: an anthropology of the moderns, Cambridge, Massachusetts (Harvard University Press) 2013, S. 261

Und da haben wir also das, was ich versucht habe auf der Ebene der Akteure zu fassen (“toxische Akteure”) auf der Ebene der Existenzweisen. Sehr schön.

Schwierig an dieser Variante ist vor allem aber folgendes: Selbst innerhalb von Existenzweisen kann es zu Problemen kommen. Keine der Existenzweisen ist in sich konfliktfrei oder überraschungslos. Und auch das ließe sich mit toxischen Akteuren erfassen. D.h.: Existenzweise vs. Existenzweise ist eine Art der Toxizität, die verdeutlicht, wie Konflikte zwischen den “Modes of Existence” diplomatisch vermieden werden können, wie gute Rhetorik zustande kommt.

Aber das ist auf der Ebene der Erfassung schwierig zu klären. Wenn ich Akteur-Netzwerke nachzeichne, dann weiß ich noch nicht, welcher Existenzweise dieses Netzwerk zugehörig ist. Und Konflikte tauchen aber schon hier auf. Ich sehe ja schon früh, dass ein Konflikt besteht (Akteur A artikuliert x, Akteur B artikuliert y), ohne dass es um die Art der Assoziation überhaupt schon geht. Und hier kann man feststellen, dass in einem Versuchsaufbau ein Akteur sich toxisch verhält. Selbst wenn mir noch nicht klar ist warum. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es aufgrund der verschiedenen Existenzweise geschieht und dazwischen besser vermittelt werden muss. Aber es kann genauso gut innerhalb einer Existenzweise dazu kommen. Denn es ist ja so, dass es immer noch um Netzwerke geht und es hier also eine Anzahl von Akteuren gibt, die miteinander über Assoziationen in Koexistenz treten und sich dabei verschiedentlich aufeinander beziehen.

Kurz gesagt: Ich bin mir nicht mal sicher, ob es nicht besser wäre die Toxizität nicht ohnehin auf dem Niveau des Akteurs anzusiedeln, anstatt auf der Ebene der Existenzweise. Es scheint mir aber wichtig, wenigstens vorübergehend von zwei Toxizitäten zu sprechen.

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