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2015-10-04-Nachmittag

Länger nichts im Journal vermerkt. Weil einfach zu wenig Zeit. Es ist alles gut. Die Normalisierung in unendlich schöner Form (d.h.: nicht mehr allein) meines Eigenbrödlertums in Aarhus gelingt immer besser. Gehe nicht mehr zu viel auf Parties, aber sehe trotzdem den Menschen, der mir wichtig ist und zufällig andere auch. Reicht doch. Lese wieder. Schreibe wieder. Wenig zwar, aber immerhin. Dank der Unterbrechung und der Notwendigkeit eines rationelleren Vorgehens wieder zurück zum gedruckten Buch. Denn da kann man Klebezettel reinkleben und Anstreichungen vornehmen. Geht auch mit Skim ziemlich gut und PDFs sind außerdem durchsuchbar. Bücher lenken aber weniger ab. Sind Single-Purpose-Devices. Und je mehr “Screens” man hat, wenn man Bücher mal so bezeichnen will, desto besser. Aus irgendwelchen Gründen liest sich dann halt doch besser auf Papier. Zwar ist die Einfachheit der Wiederbenutzung im Digitalen höher, aber es muss auch erstmal überhaupt gelesen werden. Und das ist wichtiger. Zumal die Teilung von Laptop zum Schreiben/Notieren von mittelfesten Notizen etwas anderes ist, als die Nutzbarmachung von Literatur. Gute Begründungen sind das alles noch nicht wirklich, aber der Widerstand etwas für später zu markieren, zu notieren und weiterzulesen scheint in dieser Konfiguration geringer. Vielleicht ist es auch die Möglichkeit des handschriftlichen Vermerks? Der Geteiltheit der Werkzeuge? Laptop ist Stift, Klebezettel, Buch und alles in einem. Jedenfalls haptisch/taktil. Die Aufgliederung in unterschiedliche “begreifbare” Gegenstände hilft. Kaufe also wieder Bücher aus Papier. Hoffe darauf, ein semipermanentes Bücherregal im Gästezimmer meiner Mutter einrichten zu dürfen. Damit wäre die Problematik der Mobilität, die mit Büchern einhergeht zumindest abgewendet. Aber wir werden sehen. Nachher stehen sie vermutlich doch wieder in meinem Zimmer. Darf über die Implikation dessen, dass ich nämlich im nächsten Sommer eine riesige Scheißtonne Bücher nach D bringen muss gar nicht genauer nachdenken.


Werde demnächst die Stadt Berlin rumzeigen dürfen und freue mich riesig. Ich schätze, ich bin nicht mehr allein. Es ist alles sehr ungewohnt. Es ist alles unendlich schön. Es erstickt mich fast. Wie ein ausgiebiger Lachkrampf. Kein Grund aufzuhören. Niemals nicht.


Habe eine Reihe von Aufsätzen, die ich gern schreiben will (siehe auch):

  • Marx, die Robinsonade und Minecraft (Tweet #1, #2)
  • Benutze Barthes mit App-Logos (Tweet #1)
  • Zur Lyrik von Frittenbude (Tweetfaden)
  • Plattform statt Medium (siehe hier)
  • Erotik der Geschichte (Tweetfaden)
  • Historiography in Action
  • Das Projekt des Ja! (Tweetfaden)
  • (kleine) Geschichte der Kritik
  • Interactive NonFiction (Twine) - Was ist ein_e Historiker_in?

Suche dafür jeweils Veröffentlichungsmöglichkeiten in Form von Blogs, o.Ä.. Beispiel für einen solchen Aufsatz wäre “Es wird Zeit für mehr als eine Zeit” im Blog zur Ausstellung “Wird Zeit” von @milch_honig und Ben Egger. Geld wäre toll. Aber unwahrscheinlich. Ein halbes Jahr Vorlaufszeit wäre toll und jeweils nötig.

Einzig den Marx-Text könnte ich bei Play The Past unterbringen.

Würde auch gerne einen Text für von mir erst kürzlich entdeckten PoMo-Blog “Non-Non” schreiben.


Podcast zum Journal wird jetzt auf Podigee betrieben. Habe pro Monat eine Stunde Zeit. Da aber Episode eins gleich Überlänge hatte, habe ich noch ~45 Minuten diesen Monat.


Aarhus bleibt bezüglich der Lehre schwierig. Habe die Anmeldung meiner Kurse nach ewigem Hin und Her wohl schadlos überstanden. Kann das hier gar nicht im Einzelnen ausbreiten. Werde jedenfalls den einen schon fallengelassenen Kurs nicht wieder aufnehmen. Werde stattdessen ein zweites Individualprojekt im CSS anstreben. Hoffentlich wird das genehmigt. Projekt wozu? Wohlmöglich zum Experimentbegriff in der rezenten Science-Studies-Literatur? Oder zur Physiologie im 19. Jahrhundert? Jedenfalls zu etwas, was ich kenne, was anschlussfähig ist. Fange nichts Neues mehr an. Zu gefährlich.


Habe aber weiter an dem BenjaminLatour-Aufsatz gearbeitet, d.h. herumgelesen. Warum bin ich so unsicher? Will ich das Ding nicht abschließen? Es ist in der Tat sehr spannend. Will aber die Chance auf mdl. Prüfung nach dem WiSe in der Literaturwissenschaft nutzen. Thema dort, wenn erlaubt: Latour. Auch hier: Nichts Neues mehr. BenjaminLatour jedenfalls erschließt sich mir noch nicht. Bzw. schon, aber es scheint mir so unendlich mehr möglich damit. Klar ist jedenfalls, dass ich zwei Punkte habe, an denen man ansetzen kann:

  1. Der Kunstwerkaufsatz als Akteur
  2. Mimesis, jeweils im Verständnis von Benjamin und Latour

Könnte über die Differenzen von Sprachtheorie Benjamin und Latour (verlängerter/transformierter de Saussure) und der Bedeutung der Transzendenz jeweils eine der wichtigsten Differenzen der Theorien herausarbeiten. Das Wesen der Sprache vs. die Artikulation.

Problem dieser Gegenüberstellung: Kann ich dann noch ANT machen? Wollte ich nicht den Kunstwerkaufsatz als Akteur in der Zeit zeigen? Geht beides? Wie? Alles unklar. Verstehe Benjamin immer besser, aber das Projekt entgleitet mir zusehends. Nächste Woche dann den Kommentarteil und insbesondere zur Rezeption vom KWA im KWA-Band der Kritischen Gesamtausgabe.

Vielleicht geht es so: Geschichte des Kunstwerkaufsatzes, Beschreibung im Modus der Historiografie der theoretischen Implikationen dessen was Benjamin sagt, aber alles aus der Warte der ANT. Geht, weil ich lokalisieren und relationalisieren kann. Kann dann zeigen, wie sich insbesondere KWA in der Veröffentlichung mit dem Photografie-Essay (1963) als wirkmächtig zeigte. Kann den Schlummer des KWA zeigen, Adornos Bedeutung, Scholem. Die baldige Popularität der Benjamin’schen Gedanken. Jedenfalls für D leicht(-ish) möglich. Englischsprachige und insbesondere französische Rezeption. Beginnende Popularität von Latour parallel zur weiter voranschreitenden Rezeption Benjamins und insbesondere des KWA. Entwicklung ANT, Entwicklung Projekt “Wir sind nie modern gewesen”, Horizont der Existenzweisen, in denen die Artikel zum Kunstwerk von Latour einzuordnen sind (das allein 30 Jahre!). Relationalisierung von Latours Beschäftigung und Benjamins Beschäftigung raumzeitlich. Problematisierung des Latour’schen Projekts der Nichtkritik bei gleichzeitiger anhaltender Kritik an den Humanities durch ihn. Lokalisierung des Grunds in der Ausrichtung auf “Science” wegen der Science Wars. Wurde hier nicht eine Existenzweise übersehen? Schließlich Öffnung der Perspektive für alienartigen Zugang zu den Humanities, die eine historiografische Beschreibung mit dem Instrumentarium der Moderne ermöglicht. Benjamin dabei (wie Latour, wenn auch aufgrund zeitlicher und methodologischer Nähe weniger) lediglicher Hersteller des epistemischen Produkts dieser Ja-Historiografie.

2015-07-30-Morgen

So ist das also, wenn man plötzlich Zeit hat. Ich bin früh wach und obwohl ich nun nicht gerade in Höchstgeschwindigkeit alle Pflichten des Morgens hinter mich brachte, bin ich schon dreiviertel 10 mit allem fertig und sitze jetzt hier, fertig um den Tag in irgendeiner Weise zu benutzen. Das ist Vorteil des frühen Aufstehens: Man hat so viel Zeit.

Die letzten Tage in Berlin sind geprägt vom Abschied. Ich führe ein letztes Mal schöne Gespräche mit mir wichtig gewordenen Menschen und lerne, dass es hier vielleicht doch etwas zu vermissen geben wird, was nicht das Nordufer ist. Es sind die Menschen und ihre Geschichten. Aarhus ist natürlich nur temporär. Und ich werde aus dieser Stadt nach dem Jahr wohl nicht in ein Land zurückkehren, was mir unbekannt geworden ist. Trotzdem löst sich hier etwas auf. Man merkt es. Ein Großteil jener, mit denen ich meine Studienzeit teilte sind im Begriff ihr Studium abzuschließen während ich im Ausland bin. Viele werden weg sein. Und auch ich habe nicht vor nach diesem Jahr lange im Master zu verweilen. Ein Jahr. Dieses Jahr für Hausarbeiten und mündliche Prüfungen. Ja, die Hausarbeiten im Ausland. Für die mündlichen Prüfungen komme ich nach Berlin. Das heißt:

Vier Hausarbeiten in den nächsten 12 Monaten. 3 Mündliche Prüfungen.

Und dann ein Jahr für die Masterarbeit.

It’s only two more years….

Es klingt so viel. So unschaffbar. In Anbetracht dessen sollte ich vielleicht einfach keine Leute mehr treffen, denen ich von privaten Projekten erzähle, die diese dann wiederum interessant finden, was mich wiederum irrationaler Weise daran glauben lässt, dass das ist, was ich mit meiner Zeit anfangen sollte. Case in point: Der Interactive Nonfiction Essay. Aber auch alle möglichen Podcastprojekte. Youtube-Projekte. Usw. Und alles was ich sonst so treibe, was mein Studium nur unendlich verlangsamt.

Immerhin wird dieses Problem in Aarhus so nicht bestehen, weil ich nicht vorhabe, alle mit meinen Dingen zu beschweren. Denn was auch klar geworden ist, bei all den Abschiedsgesprächen, die ich führte: Es wird alles immer unverständlicher. Ich bin unter den eigenen Gedanken, den eigenen Theorien und all dem verschüttet. Eigentlich ist das ja in Ordnung. Aber der Weg zurück, ein kleiner Pfad, der sollte zugänglich bleiben. Vielleicht besteht der ja schon. Aber ich will nicht willfährig zu anderer Leute Frustration beitragen. Andererseits wird es bis nach dem Studium auch nicht mehr als diesen Pfad geben. Die Gründe stehen weiter oben. Zwei Jahre noch. Und dann.

Ich werde versuchen meine anfängliche Unsicherheit und Verwirrung und die dadurch frei werdenden Kräfte in der Anfangszeit in Aarhus in die BenjaminLatour-Hausarbeit zu investieren. Eigentlich muss ich vor allen Dingen einfach noch ein wenig lesen. Das wären dann auch die ersten zwei Wochen: drei Bücher durchknüppeln, ein paar Artikel. Die Geschichte des Aufsatzes nachvollziehen. In groben Zügen. Und dann formulieren, was ich glaube formulieren zu können. Und das war’s. Alles in allem ist das der August. Damit wäre der Weg für die mündliche Prüfung am Ende des Berliner Semesters frei.

Im September dann der 80. Geburtstag meines Großvaters. Daher weniger Zeit. Außerdem geht das eigentliche Semester los. Hoffe trotzdem in den vier Wochen zwei oder drei Einführungen in die Technikgeschichte lesen zu können. Sollte relativ flink gehen. Dann jeweils zweimal fünf Seiten schreiben und ich wäre um 12 ECTS-Punkte reicher. Das wäre dann Ende Oktober. Acht Wochen für 10 Seiten plus die dazugehörige Recherche. Sollte gehen. Sollte gehen.

Und ab Oktober dann ist der Blick frei für Aufgaben, Abgaben und Arbeiten in Aarhus selbst. Noch kann ich nicht genau wissen, ob mir das so gelingen wird.

Am meisten schmerzt mich, dass ich eine riesige Liste an Büchern, die ich aus Interesse und Bedürfnis für meine eigenen Projekte derzeit lese, nicht werde zu Ende lesen können. Vielleicht ab Oktober dann. Bis dorthin wird auch alles private Interesse, oder jedenfalls der Ausdruck davon, ruhen. Das ist auch der Grund dieser Notiz:

Bis einschließlich 31.10.2015 werde ich hier im Journal, im Zettelkasten und auch sonst nur drei Themen bedienen: Die BenjaminLatour-Hausarbeit, mein profanes Privatleben (exklusive etwaiger eigener Theorieproduktionsinteressen; das schließt Reflexionen zur Produktivität allerdings nicht mit ein) und die zwei kurzen Essay-Aufgaben in der Technikgeschichte (zukünftig kurz TGEssays genannt).

Soweit das. Leider ist das nötig. Aber es ist ja nur eine Unterbrechung für vorerst drei Monate. Auch wenn es gut sein kann, dass ich in ähnlicher Weise danach weiter verfahren werde. Aber es sind ja nur zwei Jahre…

2015-07-05-Nachmittag

Ich will hier mal probieren etwas ausführlicher zu schreiben, wie es gerade steht und was ich eigentlich treibe. Auch unter dem Einfluss des ersten Tagebuchs von Erich Mühsam stehend. Was mir im Vergleich auffällt: Ich schreibe sehr wenig darüber, was mich umtreibt, was ich mache. Es sind oftmals nur kurze Notizen. Ich rege mich oft nur darüber auf, dass ich nichts schaffe und vermerke dann nur kurz den einen oder anderen Gedanken. Wirklich gründliches Arbeiten ist das nicht. Aber die Produktivität kommt in Bezug auf eigene Überlegungen bei mir auch häufig deshalb zum Erliegen, weil ich schlicht keine Energie habe alles gleichzeitig zu tun.

Ich habe noch 33 Tage in Berlin und dann steht Aarhus mit, ich bin mir sicher, nicht weniger herausfordernden Aufgaben und Zwängen an. Bis dorthin muss ich noch einen Auszug hinbekommen und außerdem meine Arbeit in der Uni zu einem Abschluss kriegen. Alles das wird ja auch gemacht. Ich arbeite hart daran und versuche mich gleichzeitig nicht zu überfordern (was sehr hart ist, weil ich nicht gut darin bin mich in Verhältnismäßigkeit zu üben), damit ich die dauernde Planerei und das tatsächliche Machen auch durchhalte. GTD zu implementieren fällt mir schwer. Es geht alles sehr langsam. Nicht zuletzt auch wegen des Wetters. 38° C sind’s heute. In der WG ist es aushaltbar, aber auch schon in meinem Zimmer nicht mehr. Deshalb sitze ich im Wohnzimmer und betreibe mein kleines Büro vom Esstisch her. Geht. Auch wenn es mir eigentlich nicht ganz recht ist, ständig ansprechbar sein zu müssen. Auf der anderen Seite diszipliniert es mich tatsächlich auch wirklich zu arbeiten.

Aber wie gesagt: GTD zieht sich, weil ich eine wie auch immer geartete Organisation meines Lebens lange vernachlässigt habe. Und das ist schlecht, weil ich so sicher seit Monaten nicht mehr richtig wusste, was mein Leben eigentlich ausmacht. Was es beinhaltet und welche Aufgaben damit verbunden sind. Aber Tag um Tag, Stunde um Stunde, die ich mich mit persönlicher Organisation befasse, gewinne ich an Realismus. Ich spreche z.B. nicht mehr davon meine Hausarbeit zu Benjamin und Latour noch vor Aarhus zu beenden. Das ist in Anbetracht des damit verbundenen Lesepensums schlicht utopisch.

Ich sorge mich etwas um die Übergabe der Arbeit. Denn eine Dokumentation der bisherigen Tätigkeiten zu schreiben und gleichzeitig meinen Aufgaben gerecht zu werden ist ein schwieriges Unterfangen, zumal auch jetzt schon absehbar ist, dass ich wohl nicht alle Aufgaben, die noch offen sind, erledigen kann. Dafür ist schlicht nicht genügend Zeit. Und es wäre - auch hier - utopisch in Anbetracht der anderen Dinge, die bis Aarhus anstehen, es trotzdem, obwohl ich nur für 10 Stunden in der Woche bezahlt werde, zu tun. Also plane ich es zwar alles ein, aber es bleibt unklar, ob ich es mache. Das macht mich unglücklich, weil ich nicht möchte, dass man wenn ich in Dänemark bin schlecht über mich reden wird, weil nicht alles perfekt fertig ist. Wie hält man das aus? Es könnte mir ja eigentlich egal sein…

Von meinem eigenen Denken bin ich ansonsten selbst mehr und mehr überrascht, da es zwar irgendwie mit Historiografie noch am meisten zu tun hat, aber doch weit weg führt (oder wegzuführen scheint?) von dem, was ich eigentlich machen will oder wollte. Ich meine damit, dass ich mich ja eigentlich mit der Botanikgeschichte auseinandersetzen wollte. Und jetzt beschäftige ich mit allem, nur nicht mit der Botanik! Und auch nicht mal mehr mit Geschichte. Das letzte historische Buch, i.S.v. das hat ein_e Historiker_in geschrieben, darin geht es um die Geschichte von x, liegt sicher Monate zurück. Ich lese im Augenblick fast nur Theorie. Das heißt… ich lese schon mehr als Theorie (und Essays), aber für einen Historiker verhalte ich mich irgendwie schon verdächtig. Es fehlt mir die Ruhe, Zeit und Gelegenheit mal wieder das eine oder andere zur Geschichte zu lesen. Und das ärgert mich, weil ich das schließlich sehr gerne tue und auf der Grundlage historischen Wissens mir Gedanken über die Dinge machen will. Tatsächlich läuft es eher so, dass ich Latour und ein paar andere Sachen (etwa Kittler) lese und mir dann dazu direkt Gedanken mache. Mit dem Ergebnis, dass ich fast ins Leere sprechen muss, weil ich zu wenig geschichtliche Empirie parat habe, um es zu sichern.

Nun ist aber andersrum auch nicht alles schlecht. Mit der Idee den Anarchismus ernster zu nehmen und dem Tendeziösen, den toxischen Akteuren, habe ich ein paar schöne theoretische Felder, an denen ich mich abarbeiten kann. Ich mache mir ja auch keine Sorgen, dass mir irgendwann die geistige Puste ausgeht. Ich muss nur auch mein Schaffen mit dem in Zusammenhang bringen, was ich nach außen hin bin. Und darüber hinaus auch sein will und das ist Historiker. All meine theoretischen Ideen sind daher auch nur Sprungbretter an denen entlang man das eine oder andere versuchen könnte. Das ist also alles keine schlechte Arbeit. Aber es bleibt alles - auch den Umständen geschuldet - lediglich Vorbereitung für eigentliche Essays zu all diesen Themen. Und das nervt und macht unglücklich.

Zumal auch die Stoßrichtung nicht gut mit meinem BenjaminLatour-Projekt zusammengeht. Darin versuche ich ja den Kunstwerkaufsatz als Akteur im Verlauf der Geschichte zu beschreiben. Anschließend (oder vorher, wir werden sehen) zu diskutieren, wie er von Latour bewertet wird und wie das in sein eigenes Projekt einzusortieren wäre. Und dann schließlich sage ich was dazu, wie Latours Lektüre von der aktuellen Benjaminforschung unterscheidet.

Das jedenfalls ist grob der Plan. Spannend wird das ganze vor allem dadurch, dass alle diese einzelnen Punkte sich sehr schön miteinander verweben lassen. So wirft Latour Benjamins Aufsatz “Kategorienfehler” vor, was man aber mit den Existenzweisen eher positiv bewerten muss, weil diese Überhaupt erst Zugang zu Existenzweisen schaffen. Insofern drückt Benjamin für Latour also etwas aus, was zwar nicht im richtigen Vokabular gefasst ist, nichtsdestoweniger deutlich macht, dass es sehr schwer ist von Kunst und Technik und Politik und all dem, was der Kunstwerkaufsatz spricht, so zu sprechen, dass man allen Existenzweisen gleichzeitig gerecht wird. Das sagt Latour so aber wiederum nicht.

Außerdem ist Benjamin kein schlechter Fall für das große Problem Latours die Geisteswissenschaften in seinem großen Projekt der Anthropologie der Moderne ausgeschlossen zu haben. Für ihn sind diese Positionen - er würde sie vielleicht philosophisch und soziologisch nennen - lediglich Verzerrungen und schlechte Beschreibungen. Stimmt ja irgendwie auch. Selbstreflexiver wäre es aber - und es ist mit ANT möglich - den Geisteswissenschaften einen “Mode of Existence” zuzuerkennen. Denn Theorien, Philosophien usw. schaffen ihrerseits natürlich auch Realität. Mit dem Ausschluss oben meine ich im Übrigen, dass er sie im Bestreben besseres Vokabular zu finden, dekonstruiert (oder eher noch: _re_konstruiert!) und damit verwirft. Das ist prinzipiell kein schlechtes Vorgehen und hat mich definitiv vieles gelehrt, was nicht in erster Instanz mit der ANT zu tun hat. Aber für die Beschäftigung mit der Geschichte, vor allem der Geschichte der Geisteswissenschaften, stellt sich so doch das Problem, dass wir plötzlich einer unheimlich positivistischen Geschichtsschreibung (im Bereich der Geisteswissenschaften!) gegenüberstehen. Was also tun? Man muss differenzieren. Wenn es um die Vergangenheit geht und man sich mit geisteswissenschaftlichen Dingen auseinandersetzt, dann muss man die Theorien und ihre Einflüsse auf die jeweilige Realität genauso ernst nehmen, wie man es für Götter und andere Wesenheiten nach der Forderung Latours spätestens seit den Existenzweisen macht. Warum also nicht auch für Theorien? Eine Antwort könnte lauten, dass sich in den Theorien ja Elemente befinden, die sich anderweitig verwenden lassen. Dass also die Figuration - wenn man mal so sprechen will - des Aktanten, der sich in einem Theorie-Akteur äußert nicht gut gelungen sei. Aber das ist ja gar nicht die Aufgabe. Die Aufgabe ist nicht die Bewertung dessen, sondern seine Beschreibung. Interessanter als was sein könnte - eine Frage, die man sich immer in Bezug auf die Weiterentwicklung der eigenen Theorien stellen kann und auch sollte (das mach’ ich ja gerade…) - ist für die Schreibung der Geschichte was war. Und da muss man erst recht auch vermeintlich schlecht figurierte Aktanten in ihrer Akteurshaftigkeit akzeptieren. Es fällt schnell auf, dass die Unterscheidung zwischen gut und schlecht hier eigentlich fehl am Platze ist. Jedenfalls ist daraus ersichtlich, dass das Latour’sche Projekt einer Reformulierung der Moderne sich an den Geisteswissenschaften die Zähne ausbeißt, wenn es nicht in der Lage ist, auch diesen Bereich anthropologisch zu fassen. Er gehört nämlich zur Anthropologie und Geschichte der Moderne dazu und kann nicht einfach davon abgelöst werden.

Dass es für die ANT kein Problem ist auch die Geisteswissenschaften miteinzubeziehen, zeigt man, in einem ersten Schritt, indem man auch Theorien Akteursstatus zuerkennt. Beispielhaft lässt sich das am Kunstwerkaufsatz gut zeigen. Denn bis heute wird der Aufsatz viel rezipiert und wurde erst 2013 im Rahmen der Kritischen Gesamtausagebe im Suhrkamp Verlag vom Benjamin-Forscher Burkhard Lindner neu herausgegeben. Insofern hat Charles Turner nicht ganz unrecht, dass Latour zuweilen die Handlungsmacht von Metaphern und Diagrammen unterschätzt und auch nicht überall das letzte Wort haben wird, insbesondere nicht im Bereich der in den Geisteswissenschaften häufig zu Argumentationszwecken herangezogenen Mythen, wie die des Höhlengleichnisses. Und was für Metaphern, Diagramme und Mythen stimmt, stimmt natürlich auch für Theorien, Philosophien, Essays, Gedanken, Formulierungen usw. usf. Das kann man am Kunstwerkaufsatz alles ganz gut zeigen. Auch, dass es ein wenig artikuliertes Doppelprogramm in Latours Denken gibt, nämlich: 1.) Eine Beschreibungssprache finden, die zu allem denkbaren “ja” sagen kann, wofür eine gehörige Reformulierung der bisherigen Theorielandschaft nötig ist. 2.) Die Beschreibungssprache am historischen oder anthropologischen Material austesten und anwenden. Aber das sind zwei verschiedene Bereiche. Dass diese Bereiche nicht sonderlich eindeutig voneinander getrennt sind, liegt hauptsächlich daran, dass Latour in den Science und Technology Studies unterwegs ist und in Bezug auf sein Projekt einer Anthropologie der Moderne keine Gefangenen machen muss. Würde er sich jedoch der Geschichte/Anthropologie der Geisteswissenschaften stellen müssen, dann wäre schnell klar, dass man diese beiden Bereiche auseinanderhalten muss.

Kurz: Die ANT taugt für die Geschichte der Geisteswissenschaften. Aber nur dann, wenn sie den Wesenheiten, einen Status als Akteur auch zuerkennt. (Außerdem müsste man sich mal Blumenberg dazu ansehen.)

Aber man sieht schon, dass das alles noch auf der Seite Latours stattfindet. Über Benjamin kann ich noch nicht so viel sagen. Ich muss dazu erst noch lesen. Und das wird nicht gerade wenig Zeit in Anspruch nehmen. Insbesondere weil ich, wie gesagt, gerade die Hände ohnehin voll zu tun habe. Aber es wird schon gehen. Ich freue mich schon, wenn diese merkwürdigen Tage, in denen ich mich nicht dazu bewegen kann, die Dinge einfach liegen zu lassen (und Gott sei Dank!), vorbei sind. Noch viel schöner wäre es allerdings, wenn ich das freundliche und erfreuliche Nachfragen von Freunden und Bekannten nach mir, nicht als belastend empfände. Gerade in den letzten Tagen in Berlin will man mich noch mal sehen, noch mal treffen, noch mal was mit mir machen. Und Freunde wollen mich eben nicht nur einmal sehen, sondern gern öfters. Und ich muss ständig absagen, weil mir die Kraft fehlt ständig zuzusagen. Und es fühlt fast so an, als fehlte mir auch bald die Kraft abzusagen. Ich arbeite meine Zeit ab und mache etwas in der Uni, treffe mich etwa zum Mittag in der Mensa für ein oder zwei Stündchen. Aber dann reicht es mir eigentlich auch schon. Ich will im Augenblick dann nur noch lesen, schreiben, zocken und mich ganz tief in meinem Zimmer vergraben und am liebsten, wenn überhaupt, selbstbestimmt und asynchron mit der Welt übers Internet kommunizieren. Das ist kein Ausdruck depressiver Verstimmung. Es ist alles eine Frage der Kraft und der Lust. Ist das nicht eine Rückentwicklung von meinem behaupteten “sozialer” Werden? Vermutlich schon. Oder: Vielleicht äußert sich das, was ich für sozialer Werden hielt, jetzt halt anders. Klar ist auch, dass es mir wohl fehlen wird, wenn man mich nicht mehr fragt. Ich würde sagen, würde man mich fragen, dass mir einfach die Kraft fehlt und ich aber die paar Momente, die ich mit Leuten teile gerade sehr schön finde.

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