2015-06-21-Nachmittag
Bin in einem seltsamen Schwebezustand gerade. Schreibe ich zu viel? Hier, mein ich? Eigentlich ja nicht. Nach dem ich ein uraltes Interview hörte, in dem Merlin Mann David Allen zu Getting Things Done fragt, würde ich gern noch mal richtig dolle in GTD investieren. Zumal eine neue Version des Buchs für 2015 erschienen ist. Ich hab es mir auch gleich fürn Kindle geholt. Bemerkenswert jedenfalls an diesem Interview ist, wie sehr ich all das von früher kenne (das Interview ist aus 2006!) und wie sehr es mir in der Vergangenheit geholfen hat. Man vergisst das ja manchmal. GTD als System lässt sich ganz ausgezeichnet mit ANT (ich scheine etwas für Dinge mit drei Buchstaben zu haben…) lesen. Denn beiden ist der “Bottom-Up-Approach“ gemein. Jedenfalls will ich es noch mal versuchen. Omnifocus hatte ich ja erst kürzlich wieder installiert und im Angesicht der anstehenden Anstrengungen - Auslandsjahr, Studiumsabschluss und alles was dazwischen liegt - ist es vielleicht ohnehin an der Zeit sich ernstlich und erwachsen mit all diesen Dingen auseinanderzusetzen.
All das gehört ja auch irgendwie zusammen. Die Veränderung meiner Arbeitsgrundlage und das Denken über meine Arbeit. Die Wahrheit ist, dass zwischen der Theorie und der Praxis in meinem Falle so gut wie keinen Unterschied gibt. Auch das wäre allerdings zu problematisieren, damit ich nicht, wie ich es bei Spoken ausdrückte - nur noch dokumentiere, wie ich dokumentiere (anstatt meine Arbeit zu dokumentieren). Gemeint ist, dass ich mich natürlich trotzdem hauptsächlich mit der Arbeit auseinandersetzen muss (genau genommen müsste es hier heißen: dass ich die richtige Arbeit mache, denn auch das Nachdenken und Dokumentieren ist natürlich Arbeit und würde mich irgendwohin führen, wo es auch interessant ist, wenn ich es lange genug machen würde…).
P.S.: Die Arbeit, die unmittelbar vor mir liegt, ist die Arbeit an der Hausarbeit zu Walter Benjamin und Bruno Latour, aber dazu ein anderes Mal mehr.
2015-06-20-Abend
Wie @hackr richtig bemerkte (meine Hervorhebung):
“@openmedi wikis sind eine gravitativ ‘schweres’ format; was imo viel flüssiger ist, sind blogs mit tags (mit kontrolliertem vokabular)” (q)
Aber wie findet man ein endliches Vokabular für ein prinzipiell offenes Blog?
Tags werden häufig als Filtermöglichkeiten für Blogs verstanden. Und das ist natürlich auch richtig. Ganz grundsätzlich sind “Tags” aber erstmal nichts weiter als eine Reihe von benannten Listen, unter denen Notizen auftauchen.
Was sieht man hier? Hier sieht man, was Tags tun. Ein Blog ist ja selbst auch nichts weiter als eine chronologische Liste, die umgekehrt chronologisch, die in ihr enthaltenen Elemente anzeigt. Tags geben die Möglichkeit weitere Listen aus diesen Elementen zu erzeugen. Löst man das obige Diagramm auf ergeben sich folgende Listeninhalte:
- Tag1: Blogpost1, Blogpost2, Blogpost3
- Tag2: Blogpost1 und Blogpost3
- Tag3: Blogpost1 und Blogpost2
Die Reihenfolge innerhalb dieser neuen Listen bleibt gleich (umgekehrt chronologisch). Interessanter ist aber hier folgendes: es zeigen sich thematische Zusammenhänge, die sich netzwerkartig darstellen lassen, wie man im Diagramm oben sehen kann.
Auf was ich hinaus will: Diese Listen sind Akteure im Sinne der ANT. Bei der Kulturtechnik der Liste geht es darum einen homogenen Raum für heterogene Elemente zu schaffen. Dementsprechend ist das Problem von Tags das Problem von Listen.[^1]
Es kann bei Listen nicht darum gehen eine Essenz anzugeben, weil sie prinzipiell offen sind. Die Anzahl ihrer Elemente könnte ins Unendliche gehen. Trotzdem ist die Zuordnung zur Liste nicht bedeutungslos sondern konstituiert im Sinne der “Philosophie des Habens”[^2] den Akteur - z.B. “Tag1” - und andererseits werden all die anderen Akteure, die hier als Elemente der Liste auftauchen selbst ergänzt.
Mit diesem kleinen Umweg können wir interessante Fragen bezüglich von Tags stellen, nämlich:
- Welche Akteure möchte ich ins Leben rufen?
- Wie viele dieser Akteure werde ich am Leben halten können?
- Wie ist gleichzeitig eine Lesbarkeit für Leser_innen zu gewährleisten?
Alle drei Fragen sind gleichzeitig anzugehen und wir sehen schon, dass die Antwort auf keine der Fragen einer Historizität entbehrt. Stabile Tags sind nicht möglich, weil sie sich mit jedem Text verändern, soviel war schon vorher klar. Hinzu kommt jetzt noch, dass auch die Antworten auf die Fragen selbst Veränderungen unterworfen sind, die sich nicht a priori und auch nicht durch fortlaufende Disziplin durchhalten lassen. Wie wird dieses Problem gelöst?
Je “allgemeiner” die Akteure sind, desto weniger schlimm sind die Verwerfungen. Angenommen, man würde nur zwischen verschiedenen Medien unterscheiden: Video, Audio, Text, Spiel, Comic, usw. Da diese Tags auch außerhalb des Blogs stabile Kategorien darstellen, ist eine solche Bezeichnungsweise ziemlich sicher, auch auf längere Sicht. Aber nicht nur Medien eignen sich, auch Namen von Autor_innen, von Wissenschaften und anderen Institutionen. Der Nachteil daran ist allerdings, dass diese Unterscheidungen nicht sonderlich spannend sind. Und wenn man mit so einem Blog schon eine Vorrichtung zur “Instauration”[^3] (Herstellung von Akteuren) hat, dann will man (ich) die auch richtig nutzen.
Gleichzeitig scheint mir Frage 3 - also die nach den etwaigen Leser_innen - wirklich wichtig, weshalb diese historisch stabileren Kategorien hier durchaus hergehören. Da auch Tags in eine Liste gehören, hier mal meine provisorische Liste mit Tags:
- eigene Akteure:
- Medien:
- Text
- Audio
- Video
- Spiel
- Comic
- Ding
- Ausstellung
- Mixed Media
- Personen:
- Theorie/Feld/Philosphie/Wissenschaft:
- Perioden:
- (organisiert nach Zeiteinheiten, von groß nach klein, aber nicht zu übertrieben, da sonst zu viele Tags)
Dieser Tag-Apparat wirkt hier so a priori hingeschrieben riesig. Aber das wundert auch nicht: Denn soll ja prinzipiell die ganze Welt im Blog einen Platz finden! Und das noch unter der paradoxen Voraussetzung einer prinzipiell unendlichen Liste bei gleichzeitiger Erhaltung der Lesbarkeit (das wäre hier die Forderung der Endlichkeit der Liste und das am besten so schnell wie möglich…) komme was da wolle!
P.S.: Die obige Liste jedenfalls soll mir erstmal als grundlegende Orientierung genügen. Wichtig ist vielleicht noch, dass ich nicht so sehr versuche die Ingredienzen einer Notiz zu erfassen, sondern die Notiz selbst.
[^1]: Urs Stäheli, Das soziale als Liste. Zur Epistemologie der ANT, in: Friedrich Balke, Maria Muhle, Antonia von Schöning (Hg.), Die Wiederkehr der Dinge, Berlin (Kulturverlag Kadmos Berlin) 2011, 83–101. und Urs Stäheli, Listing the global: dis/connectivity beyond representation?, in: Distinktion: Scandinavian Journal of Social Theory, 13/3, 2012, 233–246.
[^2]: Bruno Latour, Reassembling the social-an introduction to actor-network-theory, Oxford 2005, S. 217 die Idee kommt von Gabriele Tarde, siehe FN 300.
[^3]: Bruno Latour, An inquiry into modes of existence: an anthropology of the moderns, Cambridge, Massachusetts (Harvard University Press) 2013, S. 160
2015-05-25-Nachmittag3
Schrieb auf Twitter:
- "(Wie gut es mir geht, wenn ich mich gehen lasse, wenn ich so wach bleibe, wie es mir liegt, wenn ich so schlafe, wie ich es brauche.)" (q)
- "(Ich bin kreativer, produktiver und weitsichtiger, je weniger ich an dieser Stelle Kompromisse mache.)" (q)
- "(Muss ich mir merken: Optimierung auf eine Sphäre hin, die das ermöglicht, ohne dass ich darüber ständig verhandeln muss.)" (q)
- "(Dafür ist dann aber wohl eine gewisse informationelle Asymmetrie vonnöten. Weil ansonsten jede_r und alle_s mich einbeziehen möchte.)" (q)
- "(Eine Privat-Sphäre so rum gedacht gewinnt dann auch wieder an Relevanz für mich.)" (q)
- "(Dazu wäre vielleicht wirklich mal was zu schreiben…)" (q)
"Wirklich" schreibe ich jetzt auch nichts, aber ich wollte darüber noch ein bisschen mehr nachdenken.
Es ist nämlich so, dass sich dieser Gedanke mit dem Gedanken der Stimulanzökonomie (siehe [[StimulanzOekonomie]]) gut zusammenbringen lässt: Je weniger Stimulanz, desto produktiver bin ich. Bringt man jetzt noch den Umstand dazu, dass Involviertheit sehr intoxikierend ist, kommen wir auf etwas Spannendes: Nämlich, dass es nötig ist die relative Indifferenz von Nichtmenschen zu nutzen, um damit die Stimulanz auf ein aushaltbares Maß zu begrenzen.
In einem anderen Kontext habe ich auf Twitter von "Einhegungen" gesprochen:
- "Plattformen kann man auch als Einhegungen denken. Eingehegt werden Akteure. Gehege sind Regelgewebe. @mspro @sebgiessmann" (q)
- "Warum wäre das interessant? Weil sie von Akteuren spricht. Und den Doppelcharakter (ermöglicht/verhindert) dieser Sphären verdeutlicht." (q)
- "Einhegungen sind selbst nämlich mehr als Regelgewebe. Keine Regel/Selektion ohne Aufrechterhaltungsarbeit." (q)
- "Und gleichzeitig ist klar, dass die Einhegung der Akteure eine Entfaltung dieser in anderer Weise ermöglicht, weil er bestimmte, …" (q)
- "… sonst vielleicht näherliegende Assoziationen verhindert. Gehege sind also auch eine Art Schutz." (q)
- "Das Internet wird also, wenn man die Metapher bemühen will, ein anarchistischer Zoo. Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass …" (q)
- "… der Aufenthalt in einem Gehege nicht ausschließlich oktroyiert wird." (q)
- "In manchen Gehegen ist mehr los, in anderen weniger." (q)
- "Der entscheidende Punkt hier: Metaphern des Orts bezüglich des Internet sind nur dann sinnvoll, wenn wir nicht in den Gehegen sind." (q)
- "(Oder auf Plattformen stehen, for that matter.) Was im Gehege ist, ist ein mir zugehöriger Akteur (Profil oder Avatar)." (q)
- "(Ich bin eben nicht viele. Aber ich habe viele. Avatare.)" (q)
- "Dem folgend: Ein Staat kann sehr wohl Einhegung sein." (q)
- "Symmetrisch-anthropologisch gedacht (everything has to be accounted for in the same way) spielt nämlich das Internet da gar keine Rolle." (q)
- "Und deshalb bin ich ja auch so unzufrieden mit der Antwort @mspro eben genau auf diese Frage." (q)
(zur hier vorgeschlagenen Richtung aber ein andermal mehr)
Jedenfalls lässt sich mit Einhegungen sehr gut über das reden, was ich hier meine. Wenn man eine Privatsphäre als Einhegung betrachtet, dann wird deutlich, dass man hiermit im Sinne der Sphären Slotterdijks eine Lebensraum meint.[^1] Oder anders gesagt: Man umgibt sich mit verschiedenen gut kontrollierbaren Akteuren und interagiert mit diesen als Mediatoren mit dem Ziel, sich von der Außenwelt zumindest etwas, zumindest zeitweise abzukapseln. Die Einhegung sorgt für Emergenz (siehe [[VortragDigitalHumanities]], weil sie Reibung erzeugt. Und weil sie Zeit und Möglichkeit schafft innerhalb dieses Bereichs in selbstbestimmterer Weise - weil wir hier die Akteure in unserem Sinne diszipliniert haben - sich ganz bestimmten Akteuren zu widmen. Einem bestimmten Buch etwa, oder einem Akteur, der erst noch entstehen soll (einem eigenen Text). Oder etwas ganz anderem. Komisch wie sehr das an die kontrollierten Verhältnisse einer Experimentalanordnung erinnert… Deswegen nenne ich Einhegungen auch Versuchsaufbaue (siehe [[Versuchsaufbau]]).
Entscheidend ist, dass wir in jedem Moment unseres Lebens ständig in gleicher Weise von anderen Akteuren ins Spiel gebracht werden. Wir sind genauso Ressource, wie wir andere Akteure zu Ressourcen machen.
[^1]: Peter Sloterdijk, Sphären, Band 1: Blasen, Frankfurt (Suhrkamp) 1998. Es sei hier zugegeben und zugestanden, dass ich erst die ersten hundert Seiten von Slotterdijks Sphären gelesen habe.