2015-06-23-Nachmittag
(gibt es auch als Hörfassung)
Zurück vom Spaziergang am Nordufer entlang. Der regenerische Tag und meine Grundstimmung vermischt sich einerseits mit dem erdigen, feuchten Geruch und andererseits mit einer Hörfassung von Tucholskys Schloss Gripsholm. Und dann ist da noch Herrndorf, der sich hier irgendwo am Nordufer das Leben nahm. Meine Großeltern in Schweden. Ich wünsche mir, dass sie den Text kennen. Tucholsky über das Schloss: “Ich weiß nichts vom Stil dieses Schlosses – ich weiß nur: wenn ich mir eins baute, so eins baute ich mir.”
Ausnahmsweise mal schöne Melancholie. In mir klingt außerdem noch das Sentiment dieses Latour-Artikels in der Zeit nach:
”Latour ist Realist und Spieler genug, um zu sagen: Philosophische Fantasien seien es, die ihn umtreiben. Fiktion, Realität: Nie wisse man restlos eindeutig, was das sei.”
Sehe ich das auch so? Mir geht manchmal sicher die Distanziertheit verloren. Denn so wie sich Latour um die Moderne sorgt, sorge ich mich um Latour. Und das ist schon auch ein bisschen peinlich. Muss an ein Gespräch heute mit meiner Mutter denken. Über Geborgenheit. Kann man die einfordern? Für sich? Für andere? Und was ist das eigentlich? Mein Handyakku stirbt und plötzlich fehlt da der Tucholskyhumor, der die eigene Lächerlichkeit abmildert.
Ich gehe zurück und vorbei an den Häusern dieses winzigen Fleckchens Berlins, dass mir so lieb ist. Ich gehe vorbei an den Häusern am Nordufer, am Objekt der Wohnungsbaugenossenschaft 1892 vorbei - hier würde ich gern wohnen, denke ich - das gelbliche Weiß und die schönen Balkone mit den vielen Blumen. Und die Innenhöfe. Hier hatte ich mir vor einer Weile eine Wohnung angesehen. Und nun würde es schon bald nach Dänemark, nach Aarhus (man spricht es Århus), gehen. Für ein Jahr. Jedenfalls fast. Und dort dann im Prinzip das Gleiche, was ich hier mache. In Bibliotheken sitzen und lesen und schreiben und mit dem Internet leben. Und umherspazieren.
Würde ich danach zum Nordufer zurück dürfen? Könnte ich das bezahlen? Jedenfalls würde ich das wollen. Dieser winzige Streifen zwischen Ufer Café und Plötzensee bedeutet mir etwas und ich kann mich hier leben sehen. Ich sage leben und meine mehr als existieren. Irgendetwas liegt hier in der Luft, oder es ist die Anordnung der Häuser, vielleicht die Möglichkeit auf der anderen Seiten den Westhafen zu sehen. Vielleicht ist es die Erinnerung an das Gefängnis Plötzensee und seine düstere Vergangenheit, die mich Glücksgefühle, die ich hier empfinde, als geerdet und damit rechtmäßig anerkennen lässt.
Ich will eigentlich gar nicht weg. Und es ist schon allein deshalb gut, dass ich gehe. Denn dann kann wiederkommen.
2015-06-23-Gripsholm
Meine Großeltern schickten mir per WhatsApp einen Gruß von Schloss Gripsholm. Ich tippe den Namen des Schlosses bei Google ein und finde tatsächlich, wie ich es mir gewünscht hatte, eine Hörfassung von Tucholskys Text beim SRF2:
Fragen für 2015-06-23-Kittler
(Fragen und Antworten zu Kittlers "Rock Musik")
1.) In welchem Verhältnis stehen hier Götter, Menschen und Medien?
Der Text fängt mit Nietzsche an und referenziert vermutlich den “Tod” Gottes. Direkt zitiert wird jedenfalls eine Stelle aus den fröhlichen Wissenschaften, in denen der Rhytmus einer Sprechweise das Anliegen näher an Gott herantragen könne, denn Verse prägten sich dem Menschen besser ein und man vermutete außerdem, dass man Rhytmisches auch über weitere Strecken hören könne.
Das nimmt Kittler nun zum Anlass diese Idee ins 20. Jahrhundert zu verlängern und mit der Rockmusik zusammen zu bringen. Dabei stellt er erstmal fest, dass Gott (als Empfänger) und der Mensch (als Sender) vor dem Medium selbst “verschwinden” (in dem Sinne, dass es um den sogenannten Menschen geht und dieser lediglich als Speicher- und Übertragungsmedium bei NietzscheXKittler (das ist ein Chiasmus) gedacht wird).
Das Verhältnis ist also: Des Menschen Botschaft an Gott wird, bei genauerem Hinsehen, weder von Gott noch vom Menschen bestimmt, sondern Gott und Mensch sind durch Medientechnik gegeben. Das Ausdrückbare - das von Kittler, das von Nietzsche, das von mir - wird von den Medien vorgegeben: der Begriff vom Menschen ergibt sich aus dem speziellen Ensemble von Akteuren, die zum Ausdruck dieser Begrifflichkeit tendieren.
Mit der Medientechnik der zwei Weltkriege kommt jetzt ein neues Regime, dass mit dem alten Regime gemein hat, dass MenschenXLeute und GottXNeue Götter hier auch wieder auftauchen und Leute von der Medientechnik ebenso eingefangen werden, wie die Griech_innen von ihrer Lyrik. Diese neuen Götter sind dabei, glaube ich, die verschiedenen Medientechniken selbst bzw. deren Virtuosen bzw. das Ensemble dieser Akteure bzw. “der Krieg”.
Am Schluss steht, dass statt Musik genau genommen der Sound, den Kittler auch in anderen Texten beschreibt, also jene Nachbildung und Ausnutzung von Geräuschen zur Produktion von Kunst, den Kanal zu den neuen Göttern beschreibt und dieser Zugang ist also, wie es auch in anderen Texten heißt, viel direkter oder “unmittelbarer”, weil er nicht den Umweg über Verse und einzelne Töne nimmt, sondern die Kriegsrealität zu “simulieren” sucht.
2.) Welche historischen Spuren führen im Text zur TU Berlin?
Der Text macht zwei eindeutige Anspielungen: Erstens gibt es einen Hinweis auf einen Prof. Slaby der TU Berlin, der im Jahr 1904 von Potsdam nach Charlottenburg funkte und dann noch einen auf die Firma Telefunken, nach der an der TU Berlin zumindest ein Hochhaus bis heute benannt ist und damals extra für das Heer gegründet worden war. Darüber hinaus spricht Kittler von Berlin, wenn es um das Tonbandgerät der Beatles geht, mag sein dass auch das auf die TU Berlin referiert.
3.) Welches (historische/ästhetische/politische) Programm formuliert der Titel des Aufsatzes?
Rock Musik wird von Kittler als “Mißbrauch von Heeresgerät” beschrieben, was an eine Wendung anschließt, die ein Propagandist im Ersten Weltkrieg machte. Kittler zeigt, dass sich die ganze Rockmusik, der Sound, der Schnitt, die Übertragung, die Ästhetik als vom Krieg ausgehend sich beschreiben lässt. Dementsprechend wäre das Programm vielleicht, diesen Missbrauch weiter zu führen und auf die Spitze zu treiben, jetzt dann mit den Mitteln des Computers. Allerdings ist das nicht wirklich klar. Genauso gut könnte er meinen, dass man jetzt erstmal auf den nächsten Krieg warten müsste, bevor sich wiederum neue Götter und all das zeigen würden. Vielleicht liegt die Wahrheit auch irgendwo dazwischen, oder beides ist in gleichem Maße wahr. Jedenfalls kann von einem eindeutigen Programm nicht die Rede sein.