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2015-10-12-Nachmittag

”Die Existenz einer andern Sprache in mir musste akzeptiert werden." -- Weiss, Peter: Die Ästhetik des Widerstands, S. 768

Schwierig einen Anfang zu finden. Es ist alles noch nicht verarbeitet. Aber vielleicht kann es ein Leben werden. Warum nicht mal dran glauben?


Entdecke erneut RSS. Auch mal kürzere Einträge versuchen. @mediumflow und @goncourt machen es Eindrucksvoll vor.


Bin glücklich.

2015-07-03-Nachmittag

“Ein Roman, der sich der Analyse unserer Epoche widmen will, kann auf keine ferne Utopie schielen, er kann nur jetzt agieren muss Gegenstände und Milieus und Realitätsbereiche neutral darstellen, die Gegebenheiten (konsumistisch, warenweltlich, populärkulturell) als gegeben hinnehmen, denn das ist die Welt zu Anfang der [sic] zweiten Jahrtausends.”

“Genauso aber, wie man gegenwärtige soziale Milieus zeitgenössisch untersuchen kann, erscheint eine historisch-analytische Methode weiter erfolgversprechend (wie Peter Weiss sie in der “Ästhetik des Widerstands” verwandt hat, ohnehin eine besonders attraktive Referenz für die sozial-realistische Literatur), die zu klären sucht, wie es zum Ist-Zustand der Gesellschaft gekommen ist. Man soll nicht glauben, weil soziale, historische oder politische Erzählungen von allen ‘Sendeplätzen’ verdrängt sind, existierten sie nicht mehr.”

Beides Zitate aus dem SuKuLTuR-Bändchen “Der sozial-realistische Roman”, genauer aus dem Essay “Zur Konstitution des sozial-realistischen Romans”.

Bringt mich darauf, dass ich mir dazu auch noch Gedanken machen wollte. Denn in der Tat halte ich den Roman oder im weitesten Sinne die Literatur am Schnittpunkt von Essay, historischer Arbeit und Prosa für nach wie vor überaus reichhaltig. Aber gleichzeitig ist der nächste natürliche Schritt dieses Zusammenbringen von Ingredienzen auf interaktive Medien zu übertragen. Und sei es nur, um daraus Erkenntnisse für die “links oben nach rechts unten”-Literatur zu gewinnen.[^1] Nimmt man etwa das zurecht gefeierte Gone Home als Beispiel, dann wird deutlich, dass sich auch in mehr oder weniger nicht-linearen Spielen sozial-realistisch arbeiten lässt (auch wenn der Aufwand, wenn man es ernst meint, schnell ins unermessliche steigt).

Ich glaube auch, dass es Möglichkeiten gibt, diese Art des Erzählens, ob nun auf alte oder neue Art zu verwirklichen (sowieso handelt es sich bei linear/nicht-linear wenn überhaupt um eine Skala). Ob sie jemand hören will, lesen will, spielen will, erleben will, steht auf einem anderen Blatt. Dem_der Schaffenden gibt eine solche Auseinandersetzung wesentlich mehr als Befindlichkeitsliteratur oder das Bespielen der immer gleichen Genres auf die immer gleiche Weise.

Problematisch an dem Wunsch sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen ist hauptsächlich, dass es ein Leben erfordert, dass heute und in Zukunft immer weniger möglich ist. Denn es kostet Geld und Zeit sich derartig ehrlich mit den Dingen auseinanderzusetzen. Und beides kann man fast nur haben, wenn man sich auf die eine oder andere Art professionalisiert. Alle Aufgaben, die mir im Augenblick offen zu stehen scheinen - als Historiker, als Autor/Essayist - sind politisch und persönlich lohnenswert und finanziell gesehen desaströs, zumal mir selbst unklar ist, was ich eigentlich mit “offen stehen” meine.

Also: Ich kann Stahl nur zustimmen, dass das gemeinsame Feld Historie, Prosa und Essay lohnenswert ist - unter der Einschränkung, dass man unter “lohnenswert” nicht “finanziell lohnenswert” versteht.

Wichtig für meinen Zusammenhang ist aber weiters, dass eine Beschäftigung in diesem Feld nicht zwangsläufig Ausdruck in linearen Textprodukten finden muss (auch, wenn ich hier zugeben sollte, dass ich trotzdem ein Freund eines starken Hauptnarrativs bin).

Und als letzten Punkt, den ich hier noch unten drantackern will, sei angemerkt, dass die Beschäftigung nicht beim “Sozialen”, wie ihn die klassische Soziologie definiert, halt machen kann. Hier kommt Latour für mich zum Tragen, der u.A. die Wissenschaften und die Techniken wieder im Zusammenhang einer Gesellschaft mitdenkt (sein Buch “Aramis”, mit seinen vielen ineinander verwobenen Erzählebenen, wäre ein gutes Beispiel für das was Stahl sagt und wie ich es transformieren würde, wobei ich zusätzlich auf Seiten Latours mehr Mitgefühl für Zustände des Scheiterns einfordern müsste, andererseits erfüllt sein Hörstück Kosmokoloss diese Anforderung schon sehr viel mehr). Und auch Weiss’ Ästhetik des Widerstands ist dann am besten, wenn es die Kunst auf diese unnachahmliche Weise nicht nur reflektiert, sondern überhaupt erst sichtbar, fühlbar macht und damit Bemühungen und Widerstände des Untergrunds im 2. Weltkrieg in den historischen Horizont einer Kulturgeschichte des Aufbegehrens der Beherrschten gegen die Herrschenden stellt.

[^1]: Überhaupt nicht zustimmen kann ich der Einstellung, dass Literatur nicht experimentell sein könne, weil sie keine reproduzierbaren Ergebnisse liefere. Diese Darstellung bezieht sich auf eine überholte (weil unrealistische) Philosophie des Experiments. Spätestens mit Ludwik Fleck ist deutlich geworden, dass es beim Experimentieren sehr selten um das Popper’sche experimentum crucis geht. Und explorativ experimentieren kann die Literatur sehr wohl.

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