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Sunday, July 26, 2015

2015-07-26-Vormittag

Lese tatsächlich gerne Zeitung auf Papier. Hm. Und ich lese auch mehr Nachrichten auf Papier. Und außerdem scheint es mir, als ob ich auf diese Weise gründlicher dabei bleibe. Das mag aber auch daran liegen, dass ich mir nebenbei anders Notizen mache und nicht alle fünf Minuten bei Twitter gucke oder irgendetwas nachgoogle. Hilfreich scheint mir meine Kladde zu sein, die beim Lesen neben mir liegt. Darin vermerke ich dann so etwas wie "Türkisches Militär greift Ziele auf syrischem Gebiet an, ohne syrische Grenze zu überschreiten?!". Und dann ist der Gedanke festgehalten und gleichzeitig aus dem Kopf. Das ist etwas, was ich von GTD definitiv übernommen habe: Schaffe für alles, was du hast Repräsentationen, bzw. und das wäre die Transformation, die ich vornehmen würde, schaffe für Alles Artikulationen. Diese erhöhen nämlich die Redundanz. Solange es irgendeine Artikulation gibt, ist dafür gesorgt, dass etwas, zumindest ein bisschen, existiert, bzw. sich auf dem Weg zur Realität befindet. D.h. es wird realisiert oder verwirklicht. Deshalb ist Artikulieren auch immer ein Akt der Organisation und Planung: Da Akteure immer Projekte sind, sind Artikulationen immer Äußerungen einer Realität, die erst noch hergestellt werden muss.

Ansonsten habe ich große Freude daran, dass ich heute so früh wach geworden bin und daran, dass ich vor allen Anderen Dinge tun konnte. Darin steckt eine gewisse Befriedigung, in diesem "vor". Vermutlich stimmt das auch fürs Schlafen gehen. Und da ich ja glücklicherweise festgestellt habe, dass mein Hauptproblem bezüglich des Schlafs darin zu bestehen scheint, dass ich mehr Schlaf als andere brauche und mir das nicht eingestehen wollte, wäre früher Schlaf der nächste logische Schritt. Ich trinke ja nichts mehr und mein Interesse für Partys ist dementsprechend geschrumpft. Und mit Larry David (jedenfalls in Curb Your Enthusiasm) und David Foster Wallace und vielen anderen wäre ich in guter Gesellschaft was frühes Aufstehen anbelangt. Es scheint mir mehr und mehr möglich zu sein das Leben zu führen, was ich jetzt und hier führen will, weil ich einfach nicht mehr so viele Ficks auf Teilhabe an der Welt der Coolness gebe. Ich bin eh auf meine Weise cooler als alle anderen, weil ich einer der wenigen Menschen bin, der tatsächlich erstmal alles ernst nimmt. And I like it like that!

Dinge haben Bedeutung. Und die Bedeutung der Dinge ist schwerlich dadurch runterzuspielen (hätte beinahe "relativieren" gesagt, aber das Wort hat für mich eine positive Konotation…), dass man sie für runterspielbar hält. Mir sind Leute am liebsten, die glauben etwas würde etwas bedeuten. Allerdings stimmt das nur, wenn sie dabei nicht vergessen, dass andere ebenfalls Bedeutsames in Dingen sehen. Und für mich ist es so, dass ich versuche jene Leute zu verstehen und möglicherweise auch zu überzeugen, dass ihre Überzeugungen immer im Wechselspiel mit anderen Überzeugungen stehen und deshalb relativ sind. Ich halte das für produktiv und außerdem auch für die Lösung von Problemen. Wenn wir akzeptieren könnten, dass Realität lokal und relational produziert wird und dass weder bedeutet, dass sich dann um eine künstliche Realität handelt, noch, dass es eine unwirkliche, weil nur lokal existierende, Realität sei, dann wäre das ernst Nehmen von Leuten, die Dinge ernst nehmen und Leute ernst nehmen, die ihrerseits Dinge ernst nehmen möglich. Am Ende geht es also um ein symmetrtisches Argument: Wer Dinge ernst nehmen kann, kann auch Leute ernst nehmen. Akteure können Akteure ernst nehmen. Und ich mag jene, die es tun.

Ein großes Problem mit so einer Wochenendstaz ist, dass sie über 50 Seiten hat. Nun weiß ich ja, dass man nicht alles zu lesen braucht. Und das will ich ich ja auch gar nicht. Aber trotzdem ist das fast ein bisschen zu viel Text um daraus eine ruhige Auswahl zu treffen. Ruhe scheint es nur zu geben, wenn man sich alles angesehen hat. Aber dafür hat man nicht die Zeit. Ich habe heute etwa 90 Minuten Zeitung gelesen und lediglich 11 Seiten (allerdings vollständig) geschafft. Ich halte die Zeiteinheit für gut, bin mir aber nicht sicher, ob 1/5 der Zeitung ein guter Schnitt ist. Andererseits geht es mir ja um die Inhalte. Vielleicht müsste man sich eine papierne Zeitung wie eine Website denken, wie Taz.de etwa. Auch dort würde ich in ähnlicher Weise einige Artikel ganz lesen, aber der Hauptmodus würde eher ein Anlesen sein. Wahrscheinlich müsste man so eine Zeitung sogar noch eher als eine Timline, wie bei Twitter o.Ä. denken: Würde ich, der ich knapp über 200 Leuten Folge jeden Tweet lesen, dann würde ich nichts Anderes mehr tun. Deshalb lese ich so gut wie nie Tweets nach, außer ich habe gerade nichts Besseres zu tun. Jedenfalls ist es doch bemerkenswert, dass man ein papierenes Erzeugnis wie eine Zeitung "ganz" lesen will. Zugegebenermaßen geht mir das bei Taz.de auch manchmal so. Ich finde es daher ziemlich gut wie Ars Technica und andere es lösen: Da gibt es einen Counter (wie einen Tweetcounter bei Tweetbot mit den noch offenen, ungelesenen Tweets) mit den neuen und noch zu lesenden Artikeln. Vermutlich würde diese Art der Darstellung dann aber gar nicht dazu führen, dass man jeden Artikel liest, sondern, ähnlich wie bei Twitter, dass man alles einmal (und nur einmal! - außer es gibt besondere Umstände) ansieht. Das gibt dann "Closure", wie man im Englischen so schön sagt. Das ist der Trick: Closure herstellen. Papierne Zeitungen machen das durch ihre medieninhärente Begrenztheit. Websites am besten durch Counter (bin mir aber sicher, dass es noch andere Varianten gibt). Warum will ich dann trotzdem meine Zeitung komplett lesen? Das liegt vermutlich daran, dass ich dafür Geld bezahlt habe. Und da jedes Medienangebot, für das man komplett bezahlt in der heutigen Zeit etwas Besonderes ist, will ich das Gefühl haben, dass ich die 3,50€ auch sinnvoll, aber vor allem voll, verkonsumiert habe. Das müsste sich ändern, wenn ich Zeitungen auch weiterhin mit Genuss lesen wollte: Es geht nicht darum alles zu lesen. Diese Zeiten sind vorbei. Mir fällt dabei Erich Mühsam ein, der auf der Kur und dann später aufgrund fehlenden Lesematerials fast verkümmert.

Das ist eigentlich keine uninteressante Geste: Zeitungen und Bücher und all die anderen Medienerzeugnisse vor unserer Zeit im Vergleich zu den Medien meiner Sozialisation zu sehen. Also nicht zu sagen: "So ein E-Book ist ja ein Buch, aber plus x und minus y…", sondern zu sagen "Ein Buch ist ja ein E-Book, aber plus x und minus y…". Das ist sehr produktiv. Ob das eine gute Beschreibung ist? Wäre jedenfalls mal einen Essay wert, sich anzusehen, wie diese Geste in der Vergangenheit im Prinzip ständig angewandt worden ist: Kittler mit seinem Computer, schaut durch das Silizium hindurch auf die Mediengeschichte, Benjamin schaut vom Standpunkt der Reproduktionsmedien auf die gleiche Historie. Und jetzt? Hähnels Versuch einer Mediengeschichte und -anthropolgie, gedacht und erforscht aus dem Zeitalter der Plattformen und Netzwerke? Das scheint mir nicht so interessant wie die Geschichte und Geschichtlichkeit der Mediengeschichte und -anthropologie, die sich mehr und mehr als eine Netzwerk- und Plattformengeschichte und -anthropologie "entbirgt" (hier durchaus im Heidegger'schen Sinn, why not…).

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